Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
»mein Leben wird zerstört. Ich habe nur ein Leben, und das soll nun nach siebzehn Jahren vorbei sein und nur noch trostlos werden? Es nützt mir nichts, zu wissen, daß es allen Frauen so geht. Dann geschieht eben allen Frauen Unrecht. Sieh doch nur, was der König jetzt mit der Königin macht. Er zerrt sie vor Gericht, führt in aller Öffentlichkeit, vor den Augen von ganz Europa, einen Scheidungsprozeß, nur weil er plötzlich Lust auf eine andere Frau hat! Er nimmt überhaupt keine Rücksicht auf Katharinas Gefühle, es ist ihm gleich, wie sehr er sie verletzt.«
Mary fand, Cathleen habe recht. Sie wußte inzwischen, worum es in diesem Prozeß ging, und die Art, mit der Henry sein Ziel zu erreichen suchte, empörte sie.
Katharina von Aragon war vor 28 Jahren von Spanien nach England gekommen, um den Ehevertrag zwischen ihr und Henrys älterem Bruder Arthur, dem Prince of Wales, einzulösen. Arthur sollte für eine Verbindung Englands mit dem mächtigen Spanien sorgen und die Hochzeit zwischen ihm, dem vierzehnjährigen Prinzen, und der dreizehnjährigen Katharina wurde mit großem Aufwand gefeiert. Ein Jahr später fiel Arthur einer schweren Krankheit zum Opfer. Henry wurde Thronfolger und heiratete nach sieben Jahren die Witwe seines Bruders, jedoch war diese Verbindung von Anfang an
nicht glücklich. Katharina brachte zwar einen Sohn zur Welt, aber der starb zwei Monate nach seiner Geburt, und als sie Jahre später erneut schwanger wurde, enttäuschte sie ihren Mann und den ganzen Hof mit einer Tochter. Man erzählte sich, Henry sei damals durchaus vernarrt in die kleine Prinzessin Mary gewesen, aber natürlich hinderte ihn das nicht, weiterhin auf einen Thronfolger zu hoffen. Doch Katharina bekam keine Kinder mehr, was den Beginn einer Tragödie bedeutete, die schließlich ihrem Höhepunkt entgegenstrebte, als die ebenso schöne wie junge Anna Boleyn, die viele Jahre zuvor mit Henrys Schwester Mary nach Frankreich gegangen war, als Hofdame nach London zurückkehrte und die Aufmerksamkeit des Königs erregte. Es sickerte allerdings schon bald durch, daß es einer Anna Boleyn gar nicht mehr bedurft hätte, um die königliche Ehe zum Scheitern zu bringen, denn schon einige Zeit vorher hatte der Mann, der Englands Politik betrieb, Lordkanzler Wolsey, beschlossen, daß es eine englisch-französische Allianz gegen die übermächtige Verbindung Kaiser Karls mit Spanien geben müsse und zu diesem Zweck hatte er bereits alles in die Wege geleitet, um Henry von der spanischen Katharina zu trennen und zur Eheschließung mit einer französischen Prinzessin zu bewegen. Henry hatte zwar keine Lust, eine Französin zu heiraten, aber er wollte Katharina loswerden und da er lang genug suchte, fand er schließlich eine Stelle in der Bibel, die dahingehend ausgelegt werden konnte, daß es wider die Gebote Gottes sei, wenn ein Mann die Frau heiratet, die einst sein Bruder besessen hat. Henry lud jeden Bürger Londons, der kommen wollte, in seinen Palast und hielt eine bewegende Rede, in der er an den noch nicht lang zurückliegenden Krieg zwischen den Häusern York und Lancaster erinnerte, an die damals beinahe endgültige Spaltung Englands, und er beteuerte, wie heilig ihm die Aufgabe sei, seinem Land ein guter König zu sein und es einig und mächtig werden zu lassen. Dies, so klagte er, sei aber nicht möglich, wenn schon der König mit der Königin in einer illegitimen Verbindung lebe, aus der dann natürlich auch kein zum Erbe des Throns berechtigter Sohn, sondern allenfalls ein Bastard hervorgehen könne. So schmerzlich es ihm sei, und so sehr er Katharina aufrichtig liebe, er müsse doch die ungültige Ehe mit ihr beenden.
Kurz darauf begann der öffentliche Prozeß in London, dessen Hauptproblem schließlich wurde: War Katharina tatsächlich die Frau von Prinz Arthur gewesen, ein durchaus strittiger Punkt, da man sie als Kinder verheiratet hatte. Die Verhandlung kreiste deshalb um die Klärung der Frage, ob Katharina unberührt in die Ehe mit Henry gegangen war oder nicht, wobei beide Parteien völlig gegensätzliche Behauptungen vertraten. Der König ließ jeden Tag neue obskure Zeugen aus allen Teilen Englands herbeischaffen, die vermutlich gar nichts wußten, aber unter dem Einfluß hoher Bestechungsgelder Aussagen der Königin ihnen gegenüber beschworen, die darauf hindeuteten, daß Katharina nicht nur auf dem Papier die Gemahlin des Prinzen Arthur gewesen war. Aber was auch immer die Wahrheit sein mochte, Mary
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