Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
aufzuhalten.
»Mutter, Lady Cathleen möchte, daß Mary Lesen und Schreiben lernt«, berichtete sie, »ich weiß nicht, wie Mary das geschafft hat, aber die feine Dame ist ganz außerordentlich interessiert an ihr.«
»Ach, sieh an!« Lettices Augen wurden schmal, der Ausdruck ihres Gesichtes konzentriert und zynisch. »Unser Kleines geht eigene Wege. Nicht so unschuldig, wie sie aussieht, wie? Versuchst du gemeinsame Sache mit dem Adelspack zu machen, Mary?«
Mary hatte die Augen niedergeschlagen, aber nun hob sie den Blick, und Lettice erkannte darin eine neue Entschlossenheit und zum ersten Mal trotzige Unnachgiebigkeit. Versuch nur, es mir zu verbieten, schienen sie zu sagen, diesmal setze ich durch, was ich möchte!
Nach einem Moment der Überraschung blickte Lettice kühl zu Bess hin. »Sei nicht so neidisch«, wies sie die ältere Tochter zurecht, »ich glaube, Mary hat erkannt, auf welche Art sie nach oben kommt. Sie ist schlauer, als ich dachte!«
Zum ersten Mal, seit sie lebte, spürte Mary eine hauchfeine Strömung von Sympathie von Lettice zu ihr. Verwundert erkannte sie, daß sie ihre Mutter weder durch Sanftmut noch durch Unterwürfigkeit gewinnen konnte, sondern alles daransetzen mußte, ihr ebenbürtig zu sein und den ehrgeizigen Weg fortzusetzen, den sie als junges Mädchen begonnen und durch ihre unglückselige Leidenschaft für den verkommenen Ambrose wieder verloren hatte.
Edward und Ambrose hatten endlich voneinander abgelassen und zogen sich heftig atmend jeder in eine andere Ecke des Raumes zurück. Sie warfen sich haßerfüllte Blicke zu und beobachteten eifersüchtig
Lettice, die mit aufreizenden Bewegungen umherging und die Küche aufräumte. Auf einmal fühlte sich Mary davon so angewidert, daß sie ohne noch ein einziges Wort zu sagen die Küche verließ, und die steile Treppe zu ihrer Kammer hinauflief. Sie legte sich in ihr Bett, auf altes, zerdrücktes Stroh, starrte zum Fenster hin, zu den vorüberziehenden, dunklen Wolken und lauschte dem Geschrei und Gelächter aus der Küche. Sie wagte nicht einzuschlafen, weil sie bereits ahnte, daß sie in dieser Nacht keine Ruhe finden würde. Immer wenn Ambrose angetrunken war wie heute abend, gab es heftigen Streit zwischen Lettice und ihm, und Lettice ergriff dann sehr bald die Flucht, stets zu Mary, die am nächsten war und keinen Ärger machte.
Auch diesmal geschah es wie stets. Ambrose schlurfte zuerst die Treppe hinauf, fluchte leise vor sich hin, stolperte wie gewöhnlich über die oberste Stufe und stieß einen wüsten Schrei aus. Mary konnte hören, wie er in sein Zimmer stapfte und sich schwer auf sein Bett fallen ließ. Sie hoffte, daß er gleich anfangen würde zu schnarchen, weil dies dann ein Zeichen wäre, daß er schlief, und sie wußte, daß Lettice darauf wartete. Doch Ambrose wälzte sich hin und her, murmelte Unverständliches und hielt sich ganz offenbar angestrengt wach. Irgendwann gab Lettice auf und kam ebenfalls die Treppe hoch. Mary vergrub sich tief unter ihrer Decke. Sie wollte nicht hören, was jetzt geschah. Ihre Kammer, eher ein Verschlag, war nur durch dünne Holzbretter vom Schlafzimmer ihrer Eltern getrennt, weshalb es ganz unmöglich war, nicht alles mitzubekommen, was dort passierte. Lettice streifte ihre Kleider ab, was Ambrose beschleunigt atmen ließ. Das Bett quietschte, als sie sich hineinlegte. Ambrose keuchte noch lauter.
»Du bist so schön, Lettice«, sagte er, »es gibt keine, die so schön ist wie du, das kann ich dir schwören.«
»Nimm die Finger weg, du Ratte! Ich hab’ keine Lust«, erwiderte Lettice mit verhaltener Wut.
Ambrose ließ sich nicht einschüchtern. »Zu spät... ich muß jetzt... o verdammt, komm her, Herzchen!« Das Bett quietschte noch lauter.
Es dauerte nicht lange, und Lettice eilte herbei, ohne Kerze, weil
ihr jeder Schritt schon vertraut war, eine helle Gestalt mit wehenden Haaren.
»Ich halte es nicht mehr aus«, zischte sie, »ich kann diesen verfluchten Mann einfach nicht mehr ertragen. Zum Teufel, mach Platz, Mary! Ich sage dir, wenn der mir eben wieder ein Balg angedreht hat, dann schneide ich ihm die Kehle durch, darauf kannst du dich verlassen!«
Sie warf sich mit unbeherrschtem Schwung in Marys Bett, das aber viel zu schmal war, um Platz für beide zu haben. Wie üblich rutschte Mary auf der anderen Seite hinaus und landete hart auf dem Fußboden. Rasch krabbelte sie in eine Ecke. Die Sommernacht war kühl, durch das klapprige Fenster zog frischer Wind
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