Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
mußt verstehen, daß es gar nicht um Lady Winter als Person geht, sondern daß mit ihr möglicherweise die Geschicke halb Europas verbunden sind. Wenn Ihre Majestät nicht bald freiwillig in eine Scheidung einwilligt – und Lady Winter wird alles tun, dies zu verhindern – kann es zu einer Kirchenspaltung in England kommen. Das bedeutet Bürgerkrieg, das bedeutet möglicherweise auch Krieg mit Spanien, vielleicht mit dem ganzen Haus Habsburg, das heißt auch mit dem deutschen Kaiser. Wie viele müßten dann ihr Leben lassen!«
Mary lächelte ironisch. »Ein bewegender Augenblick in Englands Geschichte«, sagte sie, »an einem grauen Wintertag in verschneiten Wäldern, unter einem Himmel ohne Licht.« Sie schrak zusammen, als sich ein paar schwarze Vögel schreiend von den kahlen Bäumen hoben. »Und wenn die Königin über die Themse gereist wäre?«
»Pech. Wir hätten uns etwas anderes ausdenken müssen. Aber die Geschicke der Menschen hängen oft an Kleinigkeiten. Das von Lady Winter eben am Treibeis.«
»Ich halte Mord nicht für ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele.«
Cavendor hüllte sich fester in seinen Pelz.
»Wie gut, daß du in dieser Sache überhaupt nicht mitzureden
hast«, sagte er, »du hast nur Befehle auszuführen. Und ich will dir gleich noch etwas sagen: Wenn Lady Winter nicht bis morgen früh tot ist, verbringst du bereits die darauffolgende Nacht im Tower!«
»Ich kann sie nicht zwingen zu trinken, wenn sie nicht will.«
»Laß dir etwas einfallen. Und wisse dabei, daß jeder Schluck, den sie zu sich nimmt, dir deine Freiheit sichert.«
Mary schwieg eine Weile.
»Wie erkenne ich sie?« fragte sie dann.
» Wir warten hier zusammen, bis sie kommt. Ich werde sie dir zeigen und dann sofort nach London zurückreiten. Du tust, was wir besprochen haben. Sobald Lady Winter getrunken hat, entfernst du dich unauffällig, kehrst zu deinem Pferd zurück, das du hier angebunden warten läßt und reitest ebenfalls in die Stadt. Den Rest des Tages verbringst du, als sei nichts geschehen.«
Es dauerte nicht lange und es begann wieder zu schneien. Mary war vom Pferd gerutscht, hockte an einen Baum gelehnt da, zusammengekrümmt und zitternd und hatte nur ganz tief in sich, kaum bewußt, ein unbändiges Gefühl des Hasses auf Cavendor.
Vor ihnen begann nun tatsächlich ein reges Treiben. Man hatte offenbar Feuer gemacht, denn der Schornstein qualmte. Es roch weithin nach gutem Essen, nach Braten und Gemüse und nach frischgebackenem Brot. Ein paar Mägde kehrten den Schnee vom Hof, andere schmückten die Haustür mit Mistelzweigen und Holundersträuchern. Das einsame Haus sah plötzlich sehr einladend aus. Mary sehnte sich immer mehr nach etwas Wärme. Dumpf dämmerte ihr die Erkenntnis, daß Cavendor sie voller Absicht fast erfrieren ließ, weil er genau wußte, daß die Kälte ihre eigenständigen Regungen abtöten und sie zu einem willenlosen Werkzeug in seinen Händen machen würde. Zweifellos war er ein schlauer Mann.
Aber ich hasse ihn, dachte sie leidenschaftslos.
Endlich ertönten aus der Ferne Hörner und Trompeten und kündeten das Nahen der Königin an. Cavendor richtete sich steil im Sattel seines Pferdes auf.
»Jetzt kommen sie«, sagte er, »halt dich bereit, Mary!«
»Ich tu’ seit Stunden nichts anderes«, erwiderte Mary gereizt. Sie
und Cavendor wichen etwas weiter in den Schutz der Bäume zurück und beobachteten angestrengt die Lichtung. Bald schon tauchten die ersten Soldaten auf, dann kamen die Königin und ihre Hofdamen, und schließlich die Lastenträger. Die Bediensteten des Gasthauses, der dicke Wirt, die vor Aufregung schnaufende Köchin, die nervös kichernden Mägde stürzten hinaus, versanken in tiefe Knickse und wußten kaum noch, was sie tun sollten. Cavendor hatte recht gehabt: Von einem Moment zum anderen hatte die Einöde all ihre geruhsame Friedfertigkeit verloren und es herrschte ein unvorstellbares Gewühl durcheinandereilender Menschen und Tiere.
»Jetzt gib gut acht«, sagte Cavendor heiser. Seine Nerven hatten unter der langen Wartezeit deutlich gelitten, denn seine Stimme klang rauh und bebte leicht. »Siehst du die Frau dicht neben der Königin? Du weißt, welches die Königin ist? Die Dame, die...«
»Ja ja, ich kenne sie.«
»Gut. Direkt daneben, die Frau auf dem grauen Pferd. Sie hat ein Barrett aus grünem Samt auf dem Kopf, mit einem grünen Schleier. Siehst du sie? Das ist Lady Francita Winter!«
»Ja«, sagte Mary. Sie
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