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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Augen geöffnet, und ihr Blick war ein wenig klarer als am Tag zuvor. Sie lächelte schwach.
    »Es läßt sich wohl nicht mehr aufhalten«, murmelte sie, »o Mary, ich müßte dir jetzt irgend etwas Schönes sagen...«
    »Das brauchst du nicht.«
    »Doch, doch. Mutter und Tochter in der Sterbestunde vereint... « Sie lachte rauh und hart. Der Tod nötigte ihr nicht die Spur Sanftheit ab, aber es klang aufrichtig, als sie sagte: »Mach wenigstens nicht die gleichen Fehler wie ich, Mary. Und sowie ich meinen letzten Seufzer getan habe, pack deine Sachen und verschwinde! Trau dieser widerwärtigen Kreatur nicht, die dein Vater ist. Nimm dich bloß in acht!«
    »Ich werde aufpassen. Bald heirate ich Frederic Belville, und Vater kann mir nichts mehr sagen.«
    »Frederic Belville... hast du in London keine anderen Männer kennengelernt?«
    »Doch. Aber sie haben mir nichts bedeutet.«
    »Oh...«
    »Mach dir nur keine Sorgen um mich, Mutter.«
    »Ich mache mir keine Sorgen. Ich wollte dich nur vor Ambrose
warnen. Und...« Lettice atmete immer mühsamer. Sie hob den Kopf ein wenig, als versuche sie dadurch etwas mehr Luft zu bekommen. »Und danke, daß du hier warst.«
    Mary lächelte mit sprödem Gesicht. »Das war selbstverständlich. «
    »Ah ja, natürlich«, Lettice lachte ironisch, »ich vergaß ganz, daß das in deinen jetzigen Kreisen ja selbstverständlich ist. Weißt du, ich habe das in dir schon immer geahnt, aber nun bist du in deiner Vornehmheit so vollkommen geworden, daß es einen schon wieder ärgert !«
    »Ich könnte ja gehen.«
    »Du wirst bleiben, bis ich tot bin. Dein Gewissen läßt es nicht zu, mich vorher zu verlassen.«
    »Was hat dich eigentlich so verhärtet?« fragte Mary leise.
    »Ich lebe schon mehr als vierzig Jahre. Das reicht aus.« Lettice wirkte plötzlich sehr kraftlos. »Ich kann nichts mehr sagen«, murmelte sie, »oh, Mary, ich sterbe jetzt.« Ihre Hände, die groß und mager auf der Bettdecke lagen, zuckten ein wenig.
    »Lieber Gott, noch ein Jahr«, rief sie plötzlich flehentlich, und es war das erste Mal in ihrem Leben, daß sie um etwas bettelte, »nur noch ein Jahr, bitte!« Sie fiel zurück, vor Erschöpfung grau im Gesicht, atmete keuchend, rang nach Luft. Dann sank ihr Kopf zur Seite, sie stöhnte kurz auf, ihr Atem wurde ein leises Murmeln, das sich mit dem rauschenden Frühlingsregen draußen vermischte und kaum hörbar erlosch.
    Mit steifen, müden Bewegungen verließ Mary das Zimmer. Sie schloß fest die Tür hinter sich und rieb sich im Gang ihren schmerzenden Nacken. Sie war vollkommen erschöpft. Im Augenblick vermochte sie nicht einmal zu weinen. Langsam stieg sie die Treppe hinunter. In der Küche stand Bess. Auf eine geheimnisvolle Weise, vielleicht von Nan in Umlauf gesetzt, hatte es sich im Dorf bereits herumgesprochen, daß Lettice in ihren letzten Zügen lag.
    Bess starrte ihre Schwester an. »Und?« fragte sie.
    Mary nickte. »Sie ist gerade gestorben.«
    Ambroses Kopf fiel schwer auf die Tischplatte, Edward schluchzte. Bess schlug mit der Faust an die Wand.

    »Ach, verdammt«, sagte sie, »ich habe immer noch gedacht...«
    »Sie hat sich so gewehrt. Aber sie war schon zu schwach.« Mary ging zur Tür. »Ich gehe spazieren. Ich muß jetzt allein sein.«
    »Bei dem Wetter willst du hinaus?«
    »Es ist mir völlig gleich, ob ich naß werde. Es spielt doch alles keine Rolle mehr.«
    Bess musterte sie scharf. »Willst du nach Marmalon?«
    »Und wenn?«
    »Vorsicht. Ich habe es vorhin erst erfahren.« Wie immer, wenn sie wußte, daß ihre nächsten Worte einen Menschen treffen würden, bekam Bess diesen zufriedenen Gesichtsausdruck, selbst heute. »Man erzählt es im Dorf«, sagte sie, »der alte Bruce Belville ist am Fleckfieber erkrankt. Er wird wohl auch sterben.«
     
    Lettice wurde auf dem kleinen Kirchenfriedhof von Shadow’s Eyes beigesetzt, im Schatten der alten Mauer unter einer Trauerweide, deren Rinde mit Moosflechten bewachsen war, und deren lange Zweige das Holzkreuz umspielten, auf dem Lettices Name, der Tag ihrer Geburt und der Tag ihres Todes geschrieben standen. Pater Joshua las die Totenmesse und verharrte neben dem Grab, als der Sarg in die Erde gelassen wurde. Mary fand, daß sich der alte Mann großzügig verhielt, denn er hatte niemals ein freundliches Wort von Lettice gehört und sie außer am Tag ihrer Trauung mit Ambrose kein einziges Mal in seiner Kirche gesehen. Aber er hatte in den vergangenen Wochen das halbe Dorf beerdigt und

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