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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nächtelang bei todkranken Menschen gesessen und machte sich außerdem die größten Sorgen um Englands künftiges Verhältnis zum Vatikan. Er hatte anderes im Kopf, als einer toten Lettice Askew die ungezählten Sünden ihres Lebens nachzutragen.
    Es regnete am Tag der Beerdigung. Mary trug ihr schwarzes Kleid aus London und ein schwarzes Kopftuch über den Haaren und hielt dem rauschenden Regen ohne mit der Wimper zu zucken stand. Ambrose und Edward standen ein wenig abseits. Sie hatten zuviel getrunken, was ihnen, zum erstenmal in ihrem Leben, vor dem Priester ein wenig peinlich war. Sie sahen so verdreckt und abgerissen aus wie immer, wirkten im grauen Licht dieses Tages noch
elender als sonst. Edward weinte, und Ambroses Gesicht war verzerrt. Keiner von ihnen sprach ein Wort.
    Bess war ohne ihren Mann und die Kinder erschienen und wirkte gefaßt. Sie stand ein ganzes Stück vom Grab entfernt, fast, als fürchte sie noch jetzt, sich anzustecken. Sie hatte weder Mary noch Ambrose oder Edward begrüßt, als sie kam, und kaum begannen die Totengräber damit, die zu Schlamm aufgeweichte Erde über den Sarg zu schaufeln, da drehte sie sich auch schon um und verschwand hinter der Wand von Regen auf der Dorfstraße, die zu ihrem alten, baufälligen Haus mit seinen Strohsäcken vor den Fenstern und den bröckelnden Mauern führte.
    Auch Ambrose und Edward wandten sich zum Gehen.
    »Kommst du mit, Mary?« fragte Ambrose schwerfällig. Die Wirkung des Alkohols verflog, seine Hände begannen zu zittern, seine Lippen wurden weiß. Er würde es gerade noch bis nach Hause in die Küche schaffen und sich dort wie ein Verdurstender über alles Bier hermachen, dessen er habhaft werden konnte. Mary graute es plötzlich bei dem Gedanken, ihn und Edward wieder wie all die Tage zuvor in Lettices Küche am Tisch sitzen zu sehen, wie sie stumm und dumpf in ihre Becher starrten und sich bis zum Abend zu keiner Tätigkeit aufraffen konnten. Trotz des schlechten Wetters schüttelte sie daher den Kopf.
    »Ich will noch bleiben«, sagte sie, »ich komme später.«
    Sie blickte den beiden nach und schrak zusammen, als jemand von hinten an sie herantrat. Es war Pater Joshua. Seine grauen Haare klebten naß am Kopf, er sah angestrengt und müde aus.
    »Mary Askew«, sagte er und reichte ihr beide Hände, »wie traurig, daß wir uns bei solch einem Anlaß wiedersehen müssen. Wie ist es Ihnen ergangen?«
    »Gut. London ist eine unterhaltsame Stadt.«
    »Wie geht es Lady Cathleen?«
    »Sie lebt jetzt in Essex. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß...«
    »Ihr Vater teilte es mir mit. Sie ist Witwe seit dem letzten Herbst. «In die Augen des Priesters trat ein forschender Ausdruck.
    »Ein Raubüberfall«, entgegnete Mary unbewegt, »in London geschieht das beinahe täglich.«

    »Ich verstehe.«
    »Wie geht es denn Ihnen?«
    »Wie soll es mir in dieser Zeit ergehen!« Er lächelte bitter. »Die Kirche, der ich diene, verliert all ihren Einfluß in England. Uns stehen böse Zeiten bevor.«
    »Aber der König hat seinen Willen bekommen! Jetzt werden sie Anna Boleyn in London krönen.«
    »Ich glaube dennoch nicht, daß alles vorbei ist. Es gibt Zeichen, daß...« er unterbrach sich und nahm Marys Arm. »Wie unhöflich von mir, Sie hier im Regen stehen zu lassen. Wollen wir nicht für einen Moment ins Haus gehen? Sie sehen elend aus! Die letzten Tage müssen sehr schwer gewesen sein.«
    Mary, die fror und von einem Gefühl der Einsamkeit überfallen war, das sie beinahe lähmte, willigte ein. Sie folgte dem alten Priester in das kleine, steinerne Haus neben der Kirche und wurde in ein düsteres Wohnzimmer geführt, dessen Wände bis zur Decke hinauf mit Büchern verstellt waren. Im Kamin brannte ein schwaches Feuer. Vor dem Fenster rauschte noch immer der Regen hinab, unermüdlich, wie eine dunkle Wand, und dahinter lagen der Friedhof und das frischgeschaufelte Grab. Die Trauerweiden bogen sich im Wind. Auf einmal überfiel Mary eine tiefe Trostlosigkeit. Sie sank in einen der alten Sessel und fing leise an zu weinen.
    Pater Joshua störte sie nicht. Er räumte ein paar Bücher zur Seite, brachte zwei Becher mit Wein, zündete die Kerzen auf dem Tisch und am Fenster an, um dem Raum ein freundlicheres Licht zu geben. Gerade als er fertig war und sich Mary gegenüber niederlassen wollte, wurde draußen an die Tür geklopft. Kurz darauf erschien die Haushälterin, die bereits seit vierzig Jahren in diesem Haus arbeitete. Sie nickte Mary nur kühl zu.

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