Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
verheiratet war, erstaunlich gut. Sie sah verlebt aus, jedoch auf eine gerade noch attraktive Weise, und ihre Schwangerschaft machte sie nicht häßlich. Sie hatte bereits eine Tochter, ein außerordentlich hübsches Baby, dazu die neun verwahrlosten Kinder ihres Mannes. Zweifellos wurde sie gut mit ihnen fertig. Sie hatte eine noch schärfere Stimme bekommen und schlug nach jedem Kind, das nur hustete.
»Nun läßt du dich also wieder blicken«, sagte sie lauernd, »du willst dir noch schnell Mutters Segen holen, wie?«
»Sie hat nach mir verlangt. Was sollte ich da tun?«
»Wie gut du bist! Nicht so wie die böse Bess, die sich aus dem Staub gemacht hat!«
»Es ist mir wirklich ganz gleich, was du tust, Bess.«
»Weißt du, ich denke nicht daran, mich anzustecken«, sagte Bess und nahm sich ein Stück Brot, das Mary am Morgen gekauft hatte, »ich habe in den letzten Monaten zu viele Leute am Fleckfieber sterben sehen. Ich habe einfach keine Lust dazu.«
»Und ich habe keine Lust, dich mitzufüttern«, erwiderte Mary. Sie nahm der Schwester das Brot aus der Hand und legte es auf den Tisch zurück. »Im übrigen habe ich noch zu tun. Entschuldige mich bitte.«
Sie ließ Bess einfach stehen und ging wieder ihrer Arbeit nach.
Lettice dämmerte zwei Wochen lang dahin, dann stieg ihr Fieber in schwindelerregende Höhen, die Haut an Armen und Beinen sprang auf, und der Wundbrand ließ sie vor Schmerzen beinahe wahnsinnig werden. Sie glühte so, daß niemand verstand, weshalb sie eigentlich noch lebte. Mary legte ihr ununterbrochen nasse Umschläge auf die Stirn, flößte ihr Wasser ein, erneuerte die Senfpackungen auf ihren Wunden, verjagte die Fliegen, die sich nun bereits in schwarzen, schwirrenden Wolken auf der Kranken niederließen. Lettice mochte nichts mehr essen, schrie manchmal vor Schmerzen, lallte unverständliche Worte und schlief nie mehr ruhig. Mary brauchte ihre ganze Kraft, um es bei ihr auszuhalten. Sie hatte nie zuvor einen Menschen so lange leiden sehen, manchmal dachte sie, sie müßte selber schreien vor Entsetzen. Sie wußte, daß es nun zu Ende ging, aber es kam so, wie der Doktor schon gesagt hatte: Lettice starb einen langen Tod, weil sie sich unaufhörlich wehrte.
An einem der letzten Apriltage, als es von morgens bis abends unaufhörlich regnete, und ein kalter Wind über die Felder fegte, wußte Mary, daß Lettices letzte Stunde gekommen war. Ihre Mutter atmete nur noch ganz flach, ihr Körper wirkte wie ausgebrannt und vertrocknet. Sie trank nichts mehr, sondern keuchte nur leise vor sich hin. Mary hatte seit mehr als vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen und taumelte schon vor Müdigkeit, sobald sie aufstand, um irgend etwas zu holen. Das graue, von Flecken, Fieber und Schwäche zerstörte Gesicht in dem zu großen Bett hielt sie jedoch wach. Sie hatte in ihrer Kindheit so oft versucht, diesem schmalen Mund ein warmes Lächeln und diesen nun geschlossenen Augen einen freundlichen Blick abzuringen, daß ihr die Vergeblichkeit dieser Bemühungen noch heute als bitterer Geschmack im Mund aufstieg. Auf einmal fragte sie sich, ob die Tatsache, daß sie hier saß, ihre Gesundheit riskierte und späteren Jahren ihres Lebens noch ein paar mehr düstere Erinnerungen aufbürdete, wieder nur dem Wunsch entsprang, Wohlwollen und Achtung dieser Frau zu erwerben. Sie mochte sich keine Antwort darauf geben, erhob sich, ging hinunter in die Küche und teilte Edward und Ambrose mit, Lettice werde wohl heute noch sterben.
»Es könnte ja sein, daß ihr sie noch einmal sehen oder ihr etwas sagen wollt«, fügte sie hinzu. Ambrose starrte sie verschwommen an, Edward begann leise zu weinen.
»Meine Mutter stirbt«, wimmerte er, »das darf sie nicht, sie darf mich doch nicht verlassen!« Er sah aus wie ein jämmerliches kleines Kind, das nicht versteht, weshalb seine Wünsche nicht erfüllt werden. Mary dachte an die Katze, die seinetwegen hatte sterben müssen. Er war brutal Schwachen gegenüber und hatte seine Kraft immer nur aus dem Wissen gezogen, daß Lettice ihn verteidigen würde wie eine Wölfin ihr Junges. Nun verlor er sie, und nichts blieb mehr von seinem prahlerischen Auftreten. Mary fühlte sich so angewidert, daß sie sich rasch abwandte.
»Sollen wir Bess holen?« fragte sie noch, aber keiner der Männer erwiderte etwas, sie blieben ebenso stumm sitzen wie die Zeit zuvor. Mary zuckte mit den Schultern. Sie würde nicht zu Bess gehen.
Lettice lag oben unverändert, aber sie hatte die
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