Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Marmelon schärfer denn je. Jeder war überzeugt, daß dort nicht alles mit rechten Dingen zuging.
An einem kalten Februarnachmittag lief Mary in der einbrechenden
Dunkelheit durch die Gassen von Shadow’s Eyes. Sie war im einzigen Laden des Dorfes gewesen, um wenigstens ein wenig zu essen zu kaufen. Das Geld von Lord Cavendor war völlig ausgegeben, und zu Hause mußte sie um jede erbärmliche Kupfermünze kämpfen, die sie für das Einkaufen von Lebensmitteln haben wollte. Gleichzeitig schimpfte Ambrose aber, wenn sie zu wenig auf den Tisch brachte. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt, sehnte sich abwechselnd nach London und Marmalon, brach leicht in Tränen aus und hätte am liebsten eine überstürzte Flucht ergriffen.
Auch heute, als sie durch Shadow’s Eyes ging, war ihr elend zumute. Es wehte ein kalter Wind, der durch alle Kleider hindurchging, ein paar Schneeflocken wirbelten vom dunkelgrauen Himmel, und Mary versank immer tiefer in ihre trübsinnige Stimmung. Fast hätte sie tatsächlich angefangen zu weinen, aber da trat ihr eine dicke, ältere Frau in den Weg und zwang sie, stehenzubleiben. Sie trug ein Kleid aus dunkelbrauner Wolle, einen breiten schwarzen Schal um die Schultern geschlungen und hatte ihre Haare sauber zurückgekämmt. Mary erkannte zu ihrem Schrecken die Wirtin vom Oakwood House, die schlimmste Klatschbase des Dorfes, außerdem als berüchtigte Denunziantin verschrien, weil sie schon zwei Frauen als Hexen angezeigt und auf den Scheiterhaufen gebracht hatte. Ihr besonderer Haß galt den Askews. Sie war zusammen mit Lettice aufgewachsen, hatte die andere immer um ihre Schönheit beneidet und sich über ihre Schamlosigkeit entrüstet, war schließlich zu einer alten Jungfer geworden und früh gealtert. Wenn sie nicht in ihrem Wirtshaus arbeitete, schlich sie entweder wie ein grauer Schatten durch das Dorf und steckte ihre Nase in alles, was sie fand, oder sie kauerte hinter einem Fenster ihres Hauses und beobachtete die Straße, ob sie nicht etwas Interessantes erspähen konnte. Heute war es so kalt, daß sie schon beschlossen hatte, nach Hause zu gehen, als ihr das Schicksal eine fette Beute in Gestalt von Mary Askew über den Weg schickte. Mit ihren harten Fingern umklammerte sie das Handgelenk des jungen Mädchens.
»Ah, Mary Askew«, sagte sie lächelnd, »daß man dich auch einmal wieder sieht! Warst du einkaufen?« Sie versuchte, einen Blick in Marys Korb zu werfen, aber Mary hatte ein Tuch über die kärglichen
Waren gebreitet, und so konnte sie nichts erkennen. Ihr Lächeln vertiefte sich.
»Wie geht es zu Hause?« erkundigte sie sich, »nun da deine liebe Mutter heimgegangen ist!«
»Danke«, erwiderte Mary von oben herab, »wir kommen zurecht. «
»Das freut mich. Man spricht davon, du wärest verlobt. Mit dem jungen Belville von Marmalon.«
»Ja.«
»Wie schön. Wann wird er dich heiraten?«
Mary wußte, daß man sich im Dorf fragte, warum noch immer keine Hochzeit zwischen ihr und Frederic stattgefunden hatte, und sie hatte auch schon die hämischen Blicke bemerkt, die viele ihr nachsandten. Sie galt bereits als sitzengelassene Braut, und die meisten gönnten es ihr.
»Wir werden bald heiraten«, erklärte sie, »aber nach dem Tod meiner Mutter hatte ich keine Lust auf ein fröhliche Fest. Sie werden das sicher verstehen. Auf Wiedersehen!« Sie wollte weiter, aber die Wirtin war noch nicht gewillt, das Gespräch zu beenden.
»An deiner Stelle würde ich ein scharfes Auge auf Belville werfen«, sagte sie, »man hört manches!« Ihre kleinen Augen blinzelten verschlagen.
Gegen ihren Willen wandte sich Mary noch einmal zu ihr um. »Was meinen Sie?«
»Nun, wir leben in einem düsteren Jahrhundert«, erklärte die Wirtin, wohlig schaudernd, »und gerade diese jungen Männer haben oft einen höchst ausgeprägten Sinn für Abenteuer. Manchmal könnte man sie fast leichtsinnig nennen!«
»Ach ja?«
Die Wirtin kam noch näher. »Man sagt, daß draußen auf Marmalon nachts häufig Licht zu sehen ist, und daß fremde Leute kommen und gehen...«
»Was heißt das?« fragte Mary patzig. »Sie sind wahrscheinlich dort hingeschlichen und haben spioniert!«
»Ich? Spioniert? Ich verbitte mir diese Unterstellung!«
»Ich würde Ihnen wirklich raten, sich nicht ununterbrochen in
die Angelegenheiten anderer Menschen einzumischen. Und schon gar nicht in meine oder in die Frederic Belvilles!«
»Du hast kein bißchen gute Erziehung, Mary Askew, aber das ist ja wohl kein
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