Die Sternenkrone
Personifizierung des Leids und der Bezauberung. O wie geil er auf sie war!
»Ich bin so traurig, Reinhold. Wie kann ich IHM jemals helfen? Ich kann es nicht, ich habe versagt. Oh, ich muß nachdenken. Hadley, bitte geh!«
Als sie schließlich allein war, ließ ihr ihr Kummer keine Ruhe. Sie wanderte auf und ab, warf sich aufs Bett, stand wieder auf, um weiter auf und ab zu wandern, ohne zu bemerken, daß die Nacht und der Tag vergingen und das Telefon klingelte. ER ist krank, vergiftet, liegt im Sterben, dachte sie immer wieder und wieder, und ich habe IHM gegenüber versagt. Ich tauge nichts.
Sie konnte nicht einmal SEINE Gegenwart spüren, hier in diesem verrückten menschlichen Ameisenhaufen. Sie sehnte sich nach IHM; noch nie zuvor hatte sie den ganzen Sommer unter Menschen verbracht, weit entfernt von jeder Vereinigung mit IHM. Sie fühlte sich entsetzlich verloren. Als das Telefon erneut klingelte, während ihre Hand zufällig gerade auf dem Hörer lag, nahm sie gedankenverloren ab.
»Ich hielt es für das beste, wenn du es gleich erfährst«, sagte Reinhold steif. »Dein Onkel Robert Endicott ist letzte Nacht verschieden. Irgendeine Lebensmittelvergiftung, Trüffel glaube ich. Es tut mir außerordentlich leid.«
»Oh, armer Onkel Robbie«, weinte sie zerstreut. »Er war so dick. Oje!«
»Ja, es ist tragisch. Übrigens, noch etwas anderes hat sich ergeben, vielleicht lenkt dich das von allen anderen Dingen ab. Erinnerst du dich an den öden Landstrich, irgendwo in Montana? Dein Pächter hat gerade angerufen. Er ist stinksauer, weil all seine Grundwasserbrunnen unbrauchbar geworden sind. Es sieht so aus, als ob eine ganz schöne Menge Rohöl herausgeschossen käme. Wir schicken Marvin runter. Hör mal, willst du mich jetzt heiraten, Liebling? Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert, du kannst nicht ...«
Sie legte auf und runzelte die Stirn. Öl? Öl? ER hatte ihr wieder mal ein Geschenk gemacht, das verstand sie (armer Onkel Robbie!), aber warum ausgerechnet Öl? Öl, das Gift aller Gifte, die Ursache für so viele Umweltschäden und Tode?
Sie wanderte auf und ab und kaute auf ihren Haarspitzen herum. Es war wundervoll, daß ER sie noch liebte, ihr Anerkennung für ihre kläglichen Bemühungen zollte. Aber warum noch mehr Öl? Begriff ER nicht, daß es IHN umbrachte? Unmöglich! War das eine Art waghalsiger ritterlicher Geste? Oder wollte ER ihr etwas mitteilen?
Sie blickte hinaus auf die glitzernde Stadt, die sich von der dunstigen Dämmerung scharfkantig abhob, und plötzlich kam die Erleuchtung über sie. Nicht SEIN Leben war bedroht, keineswegs. Ihres war es.
Die Biosphäre – all die langatmigen Ökologen hatten ihr erklärt, wie dünn sie war, wie leicht zerstörbar. Nichts als ein zarter Film aus Luft und Wasser und Erde und Leben auf einem gewaltigen mineralischen Körper. SEINEM Körper, mit einem Durchmesser von – na? – mehreren tausend Kilometern? Und das Leben war nur ein Fleck darauf, eine Art Ausschlag, den die Sonnenbestrahlung auf SEINER äußeren Hülle verursacht hatte. Wie konnte das für IHN etwas bedeuten? Vielleicht nahm ER es kaum wahr, vielleicht ärgerte es IHN – wie Akne? War es sogar möglich, daß ER diese ganze üppige Biopracht, die sie mit aller Kraft versuchte zu retten, am liebsten loswerden wollte?
In diesem Augenblick brach die Sonne funkelnd durch den Smog und vergoldete die Spitzen der Stadt. Das verkündete ihr: Sie hatte recht! Ihr lächerlicher Kreuzzug war beendet.
Doch was konnte sie sonst tun, um sich SEINER als würdig zu erweisen? Um IHM zu zeigen, daß sie eine Frau war, kein dummes kleines Mädchen?
Nun, dachte sie zögernd, Frauen wußten so manches. Echte Frauen zeichneten sich durch ein tiefgehendes Verständnis aus, besonders für ihren Liebespartner. Was wußte sie von IHM? So gut wie nichts – das hatte sie während ihrer Reisen erkannt. Ihr Wissensstand war verachtenswert.
Sie mußte lernen.
Sie nahm sich nur noch die Zeit, Reinhold anzuweisen, eine große Summe an den Umweltschutz-Guerilla zu schicken, dann eilte P. in die größte Bibliothek von New York. Kurz darauf kam sie mit einem Armvoll an Vorlesungsverzeichnissen und Lehrplänen heraus und nahm das nächste Flugzeug nach Berkeley.
Während des Fluges stellte sie sich eine Liste zusammen:
Geologie, physikalische
Geologie, strukturelle beziehungsweise tektonische
Geophysik, einschließlich Seismik, Kernplasmaphysik und Geomagnetismus
Ozeanographie (eventuell)
Das
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