Die Sternenkrone
sein sonst immer so kecker Schwanz schlug fahrig und ungeschickt aus. Kali war nichts im Vergleich zu dem hier, das spürte er.
»Ich weiß, was du mit diesem Ort vorhast«, sagte das Mädchen und deutete nach unten. »Wirklich nett ... aber Mutter sagte, ich muß mir auch abgewöhnen, Dinge nett zu finden. Du weißt bestimmt nicht, wen du vor dir hast, oder?«
»Nein«, erwiderte Luzifer. »Ich vermute, du gehörst zu dem Volk, für das gerade Platz gemacht werden soll. Oder bildest dir zumindest ein, dazu zu gehören.«
»Nein«, kicherte das Mädchen, wurde dann aber unvermittelt kalt und erwachsen. »Ich bin dieses Volk. Sag's ihm, Mutter.«
»Früher nannten die Menschen sie >Physis<«, sagte die verschleierte Frau. »Heutezutage >Natur<. Mutter Natur.« Sie stieß ein Lachen aus, eine einzige Silbe, die so schneidend kalt klang wie der Schrei einer Möwe. »Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Es interessiert uns auch nicht. Ihr seid alle von ihr erschaffen worden, verstehst du? In ihren Träumen. Wenn sie imstande ist, auch im Wachen zu erschaffen, wird sie die Macht übernehmen.«
Das Mädchen, plötzlich wieder ganz Kind, zog einen Schnut. »Alles, was ich bis jetzt gemacht habe, ist schlafen und wachsen«, maulte es. »Es ist sooo langweilig.«
Seine Augen bekamen einen derartig fahlen und starren Ausdruck, als wäre es nicht nur taub, sondern auch blind. Als es vor lauter Unmut mit dem Fuß aufstampfte, öffnete sich in der Wolke ein Riß. Satan streckte instinktiv den Arm aus, um das Mädchen zu halten. Er vergaß ganz, wie heiß sein Fleisch war. Die kleinen Brüste des Mädchens berührten ihn, als es das Gleichgewicht wiedererlangte. Er war entsetzt, als er die Kälte spürte, die ihm bis ins Mark seiner Knochen drang. Und da war noch etwas ...
»Aber – sie hat ja gar keinen Herzschlag«, rief er der verschleierten Gestalt zu. »Natürlich nicht«, erwiderte diese ungerührt. »Sie hat kein Herz. Nur ihre Träume besitzen Herzen.«
Satan schüttelte den Kopf und massierte seine eiskalte Schulter. »Es wird sich wohl sehr viel verändern in der neuen Zeit, die auf uns zukommt«, brachte er mühsam heraus.
Die Gestalt nickte schweigend. Satan wußte, daß er sich auf dünnem Eis bewegte, aber er konnte nicht anders. Möglicherweise war dies hier seine einzige Chance.
»Dürfte ich erfahren, wie Sie heißen, Ma'am?«
»Ich habe keinen richtigen Namen. Einst nannten mich die Menschen Tyche. Jetzt heiße ich Schicksal. Ich besitze sehr viel Macht, aber nur in meinen eigenen Träumen. Ich träumte sie. Ich werde vielleicht wieder träumen – später einmal.« Sie bewegte sich etwas. »Nun mußt du gehen.«
»Natürlich.« Satan verneigte sich höflich, wobei er seinen Schwanz wie üblich ringelte. »Es war mir eine große Ehre. Dürfte ich zum Schluß noch eine einzige Frage stellen, über etwas, das vielleicht mit Euch zu tun haben könnte?«
Die Frau senkte bejahend ihr verschleiertes Haupt .»In meinem ... äh ... bescheidenen Reich ist ein Abgrund, der so tief ist, daß keiner weiß, was sich auf seinem Grund befindet. Doch in letzter Zeit glaubte ich bemerkt zu haben, wie sich ganz tief unten etwas bewegt. Könnte es sein, daß einer der Euren auch in meiner kleinen Provinz auftaucht?«
»Das habe ich nicht geträumt, Mutter. Ich bin mir ganz sicher«, rief das Kind.
»Auftaucht? Manifestieren wäre der passendere Ausdruck«, sagte die Frau. »Wenn es sich um denjenigen handelt, an den ich gerade denke, dann ist er überall. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Inkarnation meines Herrn und Lebensgefährten Entropie. Eigentlich braucht er ja keine Inkarnation, weil er überall immanent ist, aber falls er auf eine solch schrullige Idee verfällt, wäre Euer Reich genau der geeignete Platz dafür.«
»Ich verstehe ... Und was habe ich von ihm zu erwarten, falls Eure Vermutung stimmt?«
»Nichts Neues«, erwiderte sie kalt. Satan gefiel die Antwort überhaupt nicht. »Könnte es sein, daß er mein ... mein Reich für sich vereinnahmen will?«
»O nein, Mutter!« protestierte das Kind. »Dieses Reich wollte ich doch zur Erde schaffen! Erinnerst du dich nicht daran, Mutter?«
»Diesen Plan solltest du dir reiflich überlegen, falls du noch einige Spielsachen behalten möchtest«, entgegnete ihre Mutter.
»Aber«, fragte Satan verzweifelt, »haben Eure Majestät nicht vielleicht Bedarf an meinen Diensten und meinem Reich? Als Quelle endgültiger Strafe für diejenigen, die Eure
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