Die Sternenkrone
Kilometer hinter ihm werden ebenfalls Lichter sichtbar. Dieser grüne Cecila Supra sitzt ihm also immer noch im Nacken. Ein Blick auf die Straße lenkt Hagen davon ab. In den Vertiefungen der Fahrbahn beginnt der Sprühregen zu gefrieren. Und das bei seinen schlechten Bremsen! Er nimmt den Fuß etwas vom Gaspedal.
Die Lichter hinter ihm leuchten kurz auf und verblassen wieder. Aha, der andere Wagen bremst auch. Vielleicht Straßenbanditen, die auf ihre Chance warten? Er erinnert sich jetzt, daß er bei früheren Fahrten in diese Gegend Ähnliches erlebt hat. Aber nie steckte etwas dahinter. Vielleicht gehört es einfach zum mysteriösen Gebaren des Bohemia Clubs dazu.
Seltsam, dieser Club dort oben, grübelt Hagen. Lauter Männer, alte zumeist. Weit und breit keine einzige Frau. Homos scheinen es aber nicht zu sein. Und alle gleich gekleidet, in Shorts und mit solchen Abzeichen, fast wie ein Haufen seniler Pfadfinder. Doch sie sind bestimmt was Besseres als Pfadfinder. Dort oben stinkt es nach Geld, sehr viel Geld, oder Hagen müßte sich schwer täuschen. Ein eigener Flughafen – er hat mehrere Privatjets gesehen. Und bei einigen Autos, die vor der Haupthütte parkten, sind ihm fast die Augen aus dem Kopf gefallen. Das ist die Art von Kohle, die sich gern versteckt, denkt Hagen. Auf Inseln, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind, oder hier oben im Gebirge in einem der Gott weiß wie reichen Privatclubs. Das Eingangstor ohne Namensschild, mit Wachhäuschen und Hundepatrouille, liegt zehn Kilometer von der Hütte entfernt. Reiche alte Knaben, machen einen auf jugendlich und kampieren in einer künstlichen Wildnis – wie sentimental.
Aber auf den Luxus, den sie aus der Stadt gewöhnt sind, wollen sie doch nicht verzichten. Die Bohemia-Tiefkühlcontainer, die den meisten Platz in seinem Anhänger beanspruchen, sind vollgestopft mit Steaks, Koteletts, Braten – Fleisch, Herrgott, das Pfund für vierzig Dollar. Die Dürrezeiten und die Getreideseuchen haben der Fleischproduktion in den USA so gut wie das Ende beschert, und Hagen hat seit fünf Jahren nichts mehr gegessen, was nur annähernd an Fleisch erinnert. Vegetarische Hamburger, Soja rund um die Uhr – abgesehen von dem vergammelten kleinen sogenannten Steak, das Milly und er sich für satte fünfzig Dollar zum Hochzeitstag geleistet haben. Selbst Truthahnfleisch ist seit der Epidemie vom Markt verschwunden, und genießbarer Fisch ist schwer zu bekommen. Hagen kann Fisch nicht ausstehen. Diese alten Burschen jedenfalls kriegen regelmäßig ihr Stück Fleisch.
Hagen verbringt eine volle Minute damit, sie aus tiefstem Herzen zu verabscheuen. Doch dann erinnert er sich, daß der Verwalter, der die Lieferung entgegennimmt, eigentlich gar nicht so übel ist. Falls es noch derselbe ist wie sonst, besteht die Chance, daß Hagen im eingezäunten Gelände bei den Arbeitern übernachten kann. Und vielleicht bekommt er zum Frühstück sogar ein Stück richtigen gebratenen Speck. Das wäre kein schlechter Start für seine weitere Auslieferungstour in dieser Berghüttengegend.
In diesem Moment gerät der Lkw ins Schlittern. Eine teuflisch glatte Stelle, die geradewegs auf eine kurvige Brücke führt. Verflucht, diese Brücke ist ja ganz vereist! Die klare Luft hat Hagen fäschlicherweise in Sicherheit gewiegt. Und nun sieht er, daß die Straßendecke nicht eben ist, sondern sich von der Mitte her nach außen hin abschrägt, zu einer Ausfahrt hin, die sich direkt hinter der Brücke befindet. O Gott. Er schaltet herunter, einmal, zweimal, bremst, soviel er es wagen kann.
Der schwere Lastzug ist gerade halb um die Kurve, als Hagen merkt, daß die Vorderräder seiner Kabine in Richtung Abzweigung rollen. Himmel! Soll er versuchen, die Abzweigung zu nehmen? Das schafft er nie, das wird zu knapp. Er versucht verzweifelt, die Kabine von der Schräglage auf die richtige Spur zurückzubekommen, wieder auf die Innenseite der Kurve zu gelangen, doch es ist zu spät. Mit scheußlich schlitterndem Geräusch drückt der Anhänger die Kabine auf dem vereisten Untergrund vorwärts. Und plötzlich kommt ein großer Betonmischer direkt auf ihn zu.
Hagen reißt entsetzt das Steuer herum, viel zu hart, steigt auf die Bremsen, daß sie kreischen – und ein Alptraum wird Wirklichkeit. Der Anhänger fährt mit voller Wucht auf die Kabine auf und schiebt sie hinten hoch.
Sekunden dehnen sich zur einer grauenhaften Ewigkeit. Knirschen, Malmen und Splittern, quälend langsames Kippen in
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