Die Sternseherin
dienen. Natürlich erwartete er nicht, dass die Sterbliche diese blutige Belustigung überleben würde. Die idiotischen Streuner hatte er für die unersättlichen Labors des Professors vorgesehen. Alles schien bestens zu funktionieren, bis Julen auftauchte. Und er war nicht allein. Urian wunderte sich, Asher hier zu sehen. Es hieß, er habe sich vor Jahrzehnten schon aus dem Geschäft zurückgezogen, aber dort stand der Ex-Vengador und gab eine Lehrstunde, wie man sie sich nur wünschen konnte. Und was redete er da, die Fee sei seine »Frau«? Urian dankte den Göttern für das unerhörte Glück. Wenn Asher sich wirklich für die Kleine interessierte, befand sich jeder, der ihr auch nur zu nahe kam, in tödlicher Gefahr. Alle Achtung, Julen. Ich wusste gar nicht, dass du das Spiel mit dem Feuer liebst!Widerwillig zollte er seinem verhassten Halbcousin Anerkennung für seinen Mut, mit Estelle auf offener Straße zu flirten, wie er es in Dublin getan hatte.
Leider war durch das Eingreifen des Vengadors vorerst die Chance vertan, sich die Anwältin vorzunehmen. Das musste eben warten. Die Bezahlung war bescheiden und er folgte sowieso stets seiner eigenen Agenda, egal, was der Professor glaubte. Zufrieden, dass er nicht bemerkt worden war, entschwand Urian. Er suchte nach Ersatz für die Streuner, die spurlos in der Dunkelheit verschwunden waren.
Julen runzelte seine Stirn und blickte dem Dämon hinterher. Urian!, warnte er Asher. Der nickte kaum merklich, mit diesem Beobachter würde er sich später befassen, jetzt galt es erst einmal die Frauen in Sicherheit zu bringen. Er legte seinen Arm um Estelles Schultern und bedeutete Julen, ihnen mit Sara zu folgen. Sie betraten eine schmale Gasse, an deren Ende das Licht eines Pubs leuchtete. »Olde Nell’s Tavern« stand in antiken Lettern auf einem alten Holzschild und die hohen Fenster rechts und links des Eingangs waren nahezu komplett von herabhängendem Efeu bedeckt, das in Blumenkästen in der ersten Etage wucherte.
Kaum schloss sich die Tür hinter ihnen, da überwältigte Estelle die beklemmende Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Ohne Asher an ihrer Seite wäre sie bestimmt geflohen. Ihm entging ihre Reaktion nicht und er beglückwünschte sie zu ihren ausgezeichneten Instinkten. Atme ganz ruhig, es geht bald vorüber!, versicherte er ihr, doch trotz seiner beruhigenden Stimme sah sie sich ängstlich um. Das Pub war gut besucht. Erfreulicherweise interessierte sich niemand für die Neuankömmlinge, und so bemühte sie sich ebenfalls um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck, ganz so, als käme sie jeden Tag hierher. Keine leichte Aufgabe, denn die einzigen Sterblichen unter den Anwesenden, waren ein kleinwüchsiger Mann hinter der Bar, Sara und sie selbst. Obendrein mochte Nell weit älter sein, als es das Schild über dem Eingang suggerierte, aber ansehen konnte dies der Vampirin niemand. Estelle hielt sie für eine der schönsten Frauen, die sie je gesehen hatte. Ein kurzer Blick auf ihre Begleiter bewies, dass sie nicht die Einzige war, welche die Wirtin eingehend betrachtete. Die Haut wie Alabaster, das kastanienrote Haar hochgesteckt, näherte sie sich ihren neuen Gästen wie eine Königin. Ein aufmerksamer Blick streifte Julen und Sara, blieb einen Moment länger an Asher hängen, als es Estelle angenehm sein konnte, und nahm dann sie selbst in Augenschein.
»Seid willkommen!«
Was für eine Stimme! Klar und doch warm verführte sie dazu, sich in ihr bedingungslos zu verlieren. Estelle hoffte, dass Asher nicht genauso empfand. Julen berührte leicht ihre Schulter. »Worauf wartest du?«
Sie erwachte aus der Erstarrung und folgte den anderen in einen Raum im hinteren Teil des Pubs.
»Mein Name ist Eleanor Gwynn, ›Nell‹ für meine Freunde«, stellte sich ihre Gastgeberin vor und lächelte Asher an. »Wen hast du mir mitgebracht?«
Er stand nahe hinter Estelle. »Darf ich dir meine«, nur sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören, »›Frau‹ vorstellen? Estelle ist eine Schwester von Nuriya, der Auserwählten.«
Nell zog eine Augenbraue hoch. »Seit wann heiratet man in unseren Kreisen?«
Estelle spürte die Wärme in ihre Wangen steigen. »Wir sind nicht ...«, begann sie, aber Asher unterbrach ihr Gestammel: »Du weißt, wie es ist. Derzeit ist die magische Gemeinde schrecklich konservativ. Wie auch immer, sie gehört zu mir.«
Das klang furchtbar besitzergreifend, doch Estelle hatte es sich selbst zuzuschreiben. Schließlich war es
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