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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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auf Vordermann zu bringen. Am liebsten sollte es eine schlanke Holzketsch oder ein anständiges großes Hausboot sein, keine Nussschale aus Plastik wie dieses hier. Boote wie dieses sollten eigentlich verboten werden. Was für ein Schwachkopf musste man sein, um so ein Ding zu entwerfen?
    Er war voll wie eine Haubitze und hätte nicht beschwören wollen, ob er den Gedanken vielleicht aus Versehen sogar laut ausgesprochen hatte.
    »Bald«, erwiderte Clem, pflückte die Zigarette aus seiner Hand und nahm einen Zug. »Bald werden wir Kinder bekommen.«
    »In etwa zehn Jahren«, warf Johnny ein.
    Der Mann und die Frau lachten, obwohl das keineswegs als Scherz gemeint war. Frank bot Clem eine seiner Zigaretten an. Sie nahm sie und beugte sich mit jener besonderen Konzentration vor, die Betrunkene an den Tag legen, wenn sie sich Feuer geben lassen.
    »Und wünscht ihr euch Jungs oder Mädchen?«, fragte Frank Clem.
    »Beides.«
    »Mädchen sind gut«, sagte er.
    Es war nicht ganz leicht, den Alkoholpegel eines Fremden einzuschätzen, aber Johnny glaubte zu erkennen, dass der Bärenmann ebenfalls ziemlich einen in der Krone hatte. Sie alle hatten einen in der Krone. Eigentlich dürfte Raki nur mit einem entsprechenden Warnhinweis verkauft werden.
    »Wollt ihr noch mehr Kinder?«, fragte Clem, an die Frau gewandt.
    Ein Schatten legte sich über ihre großen, hellen Augen, und der Regen schien plötzlich ein wenig lauter auf das Dach zu prasseln.
    Auf dem Kartentisch hinter Clem lag ein bildschöner Messingsextant. Johnny nahm ihn. »Hübscher Sextant«, bemerkte er, um das Thema zu wechseln. »Wo habt ihr den her?« Johnnys Vater sammelte Sextanten. Der hier würde ihm bestimmt gefallen.
    »Er war schon an Bord, als ich sie gekauft habe. Allerdings glaube ich nicht, dass er funktioniert.«
    Johnny wog ihn in der Hand und blickte durch das Glas. Eigentlich sah er keinen Grund, weshalb er nicht funktionieren sollte. »Wo habt ihr das Boot denn gekauft?«
    »In Frankreich«, antwortete Frank.
    »Ist eure Tochter dort zur Welt gekommen?«, fragte Clem Annie.
    »Nein. Hier«, antwortete Annie.
    »In der Türkei?«
    »Nein. Hier auf diesem Boot.« Sie lachte. »Genau dort, wo Johnny gerade sitzt.«
    Instinktiv zuckte Johnny zusammen, und alle lachten. Versehentlich hatte er sich schon wieder zum Narren gemacht, was ihn allerdings nicht im Geringsten störte. In gewisser Weise genoss er es sogar, die Frau zum Lachen zu bringen und zuzusehen, wie ihre Züge von diesem Leuchten erhellt wurden.
    »Keine Sorge. Ich habe die Bezüge danach gewaschen«, beruhigte sie ihn mit spöttisch erhobener Braue und drückte behutsam ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Frank hat Smudge eigenhändig zur Welt gebracht«, fügte sie mit einem stolzen Blick auf ihren Mann hinzu.
    »Bist du Arzt?«, erkundigte sich Clem.
    »Nein«, antwortete Frank. Er ließ die Finger über die Gitarrensaiten gleiten und lauschte mit leicht schief gelegtem Kopf, als trennte ihn nur ein kurzer Moment der Inspiration von dem Akkord, nach dem er suchte. »Aber ich habe schon so oft gesehen, was sie tun«, erklärte er, und es klang fast wie die erste Zeile des Textes zu dem Song, den er spielte.
    Sie wartete auf weitere Erklärungen, doch er schien völlig in seiner Musik versunken zu sein. Sie fand, dass Frank eher wie ein Künstler aussah, wie ein Regisseur oder ein Bühnenausstatter. Sie lauschten seinem Spiel und tranken noch mehr Raki. Nach einer Weile legte Frank die Gitarre auf seinen Knien ab, nahm sein Zigarettenpäckchen, schüttelte eine heraus und fing auch sie mit verblüffendem Geschick zwischen den Lippen auf.
    »Ich finde es klasse, wie du das machst«, bemerkte Clem. Johnny war klar, dass sie sich hinsetzen und stundenlang üben würde, bis sie diesen Trick ebenfalls beherrschte. Sie beugte sich vor und gab ihm Feuer.
    »Und wie regelt ihr das mit der Schule?«, wollte Clem wissen. »Geht Smudge zum Unterricht?«
    »Pfeif auf die Schule«, gab Frank zurück und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, als wollte er sie auf einen Schlag herunterrauchen. »Schule wird doch völlig überbewertet.«
    Das gefiel Johnny. Er war genau derselben Meinung.
    »Wir unterrichten sie selbst«, fuhr Frank fort und verteilte den Rest der Flasche auf die vier Gläser. »Inzwischen spricht sie drei Sprachen so gut, dass sie überall durchkommt. Außerdem kann sie schon einigermaßen gut lesen und rechnen und weiß einiges über Geschichte. Was könnte ein Lehrer ihr

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