Die stillen Wasser des Todes - Roman
selbst auch schon oft gesagt.«
Kincaid hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass der Mann ihn für einen Kriecher halten musste, der sich bei Craig einschleimen wollte und der zudem ein wenig unterbelichtet war. »Das Haus ist ja ein Traum«, wechselte er das Thema. »Ich habe gehört, es sei schon sehr lange im Besitz von Mrs. Craigs Familie. Schade, dass ich die Dame des Hauses nicht angetroffen habe.«
Die Züge des Barmanns wurden milder. »Nette Dame, Mrs. Craig. Ihre Familie lebt schon seit Generationen in Hambleden, und es gibt kaum jemanden, der so viel für die Leute hier tut wie Edie.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung des Dorfplatzes. »Übrigens ist sie wahrscheinlich gerade in der Kirche; sie hilft da bei den Vorbereitungen für eine Hochzeit am Samstag.«
»Ach ja? Vielleicht schau ich mal rein und sage ihr guten Tag.« Kincaid sah übertrieben demonstrativ auf seine Uhr. »Verdammt. Hab gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist.« Er trank noch etwas von seinem Bier und stellte das immer noch halb volle Glas auf dem Tresen ab.
Während seines kurzen Besuchs im Stag and Huntsman hatte er sich nicht nur als Idiot und als Stalker präsentiert, sondern nun auch noch als Weichei, das noch nicht einmal ein Bier vertrug.
»Muss mich sputen«, murmelte er noch, ehe er einen alles andere als würdevollen Abgang machte.
Er ließ seinen Wagen auf dem Parkplatz des Pubs stehen und ging zu Fuß durch das Dorfzentrum. Ein kühler Wind wirbelte braune Blätter über den Asphalt. Kincaid schlug den Kragen seines Jacketts hoch und wünschte, er hätte den Mantel nicht im Kofferraum des Astra liegen lassen. Der schöne Tag war vorbei.
Er erinnerte sich, einen Wegweiser zur Kirche gesehen zu haben, als er durch das Dorf gefahren war. Wie die Kirche von Henley hieß auch diese St. Mary the Virgin, doch als er dort ankam, stellte er fest, dass sie längst nicht so prächtig war. Der langgezogene, niedrige Bau schien eher zum Wohl der Menschen als zum Lobpreis Gottes errichtet.
Als er an dem überdachten Friedhofstor anlangte, trat eben eine Frau aus dem Kirchenportal und drehte sich noch einmal um, um die Tür hinter sich abzuschließen. Für einen kurzen Moment konnte er sie im Schein der Portalbeleuchtung deutlich sehen, und er hielt überrascht inne.
Er fragte sich, was er erwartet hatte. Jedenfalls nicht diese groß gewachsene, schlanke Frau, deren ergrauendes Haar als kurzer, modischer Bob geschnitten war. Sie trug einen schwingenden Wollrock, dessen Saum die Schäfte ihrer kniehohen Lederstiefel berührte, dazu einen Anorak und um den Hals einen langen grünen Schal, der bis zum Rocksaum reichte. Die lebhafte Farbe des Stoffs ließ ihn an junges Laub und frische Äpfel denken.
Als sie sich mit dem Schlüssel in der Hand wieder umdrehte, erblickte sie ihn und hielt inne. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
In ihrer Stimme lag keine Furcht, nur freundliche Teilnahme.
»Mrs. Craig?«
»Ja. Tut mir leid – sollte ich Sie kennen?«
Er trat aus dem Dunkel heraus. »Nein. Mein Name ist Duncan Kincaid. Detective Superintendent, Scotland Yard.«
Sie ging auf ihn zu, bis sie unter dem Torbogen vor ihm stand. »Wenn Sie zu meinem Mann wollen – der müsste eigentlich zu Hause sein.« Ihr Gesichtsausdruck war immer noch freundlich und offen, vielleicht auch ein wenig neugierig.
»Nein, eigentlich wollte ich Sie sprechen«, erwiderte er mit unwillkürlichem Zögern. »Können wir uns irgendwo unterhalten?«
Er sah, wie ein Schleier des Argwohns, vielleicht sogar der Verzweiflung sich über ihre Züge legte; dann drehte sie den Kopf so, dass der Schatten des Friedhofstors auf ihr Gesicht fiel. »Ich denke, das können wir hier genauso gut erledigen, Superintendent.«
»Mrs. Craig –« Kincaid war plötzlich verunsichert. Bei dieser Frau konnte man offenbar mit Vorwänden und Tricks nichts erreichen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Fragen zu stellen, die gestellt werden mussten. »Wissen Sie, wo Ihr Mann am Montagnachmittag etwa von vier Uhr an war?«
Eine Sekunde verstrich, dann noch eine. Er hörte den Wind in den Bäumen rauschen, sah, wie das Licht vom Kirchenportal auf ihren grünen Schal fiel, als sie die Hand hob, um ihn sich um den Hals zu schlingen. »Er war zu Hause«, sagte sie, »zusammen mit mir. Später ist er wie gewöhnlich ins Pub gegangen.«
War sie wirklich erleichtert über seine Frage, oder hatte er sich das nur eingebildet? Vielleicht lag es nur daran, dass
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