Die stillen Wasser des Todes - Roman
konnte.
»Ja. Und die meisten scheinen sich mit der jeweiligen Dienststelle zu decken, der Angus Craig zu der Zeit zugewiesen war. Die anderen Frauen hatten Veranstaltungen besucht, an denen jeder Beamte des höheren Dienstes hätte teilnehmen können.«
»Verdammt«, murmelte Gemma. »Ich hatte recht.«
»Oh, es kommt noch besser.« Melody zuckte mit den Achseln. »Oder schlimmer, je nach Standpunkt. Ich war gerade mitten im Recherchieren, als ich auf das hier gestoßen bin.« Diesmal drückte sie Gemma einen ganzen Stapel Papiere in die Hand. »Das ist sechs Monate her. Weil das Opfer vergewaltigt wurde, ist der Fall in unseren Akten gelandet.« Sie blickte sich um, doch an den anderen Tischen saßen nur Feierabendtrinker, die in ihre eigenen Gespräche vertieft waren, und der Geräuschpegel im Pub stieg immer weiter an.
»Ihr Name war Jenny Hart«, sagte Melody. »Sie war DCI in Tower Hamlets. Aber gewohnt hat sie in der Campden Street, genau auf der Grenze zwischen Holland Park und Kensington. Übrigens gar nicht so weit von mir.«
»Du sagst ›war‹. Und ›hat gewohnt‹. Vergangenheit.« Das Glas in Gemmas Hand fühlte sich kalt und feucht an.
Melody trank von ihrem Gin Tonic, bis nur noch die Eiswürfel übrig waren. »Jenny Hart war geschieden, vierzig Jahre alt und nach den Fotos in ihrer Akte zu urteilen eine attraktive Blondine. Sie stand auch in dem Ruf, gerne mal ein Gläschen zu trinken, mit Vorliebe im Churchill Arms, nur ein paar Schritte von ihrer Wohnung entfernt. Warst du mal dort?«
Gemma schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich bin schon mal vorbeigefahren. Das ist das mit den vielen Blumen.« Das Churchill Arms war ein wahres Bilderbuchpub, mit seiner dunklen Holzfassade, den Sprossenfenstern und der Fülle von Blumenampeln und -kästen, die fast die ganze Vorderfront bedeckten.
»Erdrückend gemütlich. Jeder Quadratzentimeter von dem Laden ist mit kitschigen Churchill-Souvenirs vollgehängt. Aber es ist größer, als man von außen meint – ein Labyrinth von kleinen Zimmern, das sich ewig hinzieht.«
»Wie deine Schilderung«, bemerkte Gemma spitz. Ihr Mund fühlte sich trocken an. »Melody, was ist mit Jenny Hart passiert?«
Melody klimperte mit den zwei verbliebenen Eiswürfeln in ihrem Glas, dann sah sie Gemma in die Augen. »Am ersten Mai erzählte Jenny Hart ein paar Kollegen, dass sie noch auf einen Drink im Churchill vorbeischauen und dann früh zu Bett gehen wolle. Sie hatte eine stressige Woche hinter sich. In ihrem Zuständigkeitsbereich war gerade ein Kind ermordet worden.
Als sie am Montagmorgen nicht zum Dienst erschien, machten ihre Kollegen sich Sorgen. Sie riefen bei ihr an, doch es meldete sich niemand. Am Dienstag beschwerten sich die Nachbarn schon über den Geruch.«
Gemma stiegen die Bratendüfte in die Nase, die sich von der Küche im ganzen Pub ausbreiteten. Sie schluckte, um gegen das plötzliche flaue Gefühl in ihrem Magen anzukämpfen – und sich gegen das zu wappnen, was nun folgte. »Wie?«, fragte sie nur.
»Sie wurde vergewaltigt. Und anschließend erdrosselt. Laut Obduktionsbericht waren die Blutergüsse an ihrem Hals mit Daumen- und Fingerabdrücken in Einklang zu bringen. Die Wohnungseinrichtung war erheblich beschädigt. Sie muss sich heftig gewehrt haben. Aber es gab keine Anzeichen für einen Einbruch.«
Gemma holte tief Luft. »Und?«
»Unsere alte Bekannte Kate Ling hat übrigens die Obduktion durchgeführt. Sie war natürlich sehr gründlich. Unter Jennys Fingernägeln waren Gewebespuren. Und in ihrer Vagina fand sich Sperma, ebenso wie auf ihren zerrissenen Kleidern. Der Täter hatte sich die Mühe gespart, ein Kondom zu benutzen.
Ich habe die Profile verglichen. Die DNS , die an Jenny Harts Leiche gefunden wurde, stimmt mit den Proben von den anderen Polizistinnen überein, die eine Vergewaltigung angezeigt hatten. Das Sapphire-Projekt hatte die Übereinstimmungen vermerkt, aber es hatte nie einen Verdächtigen gegeben, mit dem man sie hätte abgleichen können.«
Gemma tat es Melody gleich und trank ihren Gin Tonic in einem einzigen langen Zug aus. »Und den gibt es jetzt auch nicht. Nicht ohne unterstützendes Beweismaterial.«
Melody deutete mit dem Kopf auf die Papiere in Gemmas Hand und sagte: »Schau mal da rein.«
Gemma blätterte die Kopien von Jenny Harts Obduktionsbericht durch, die Labordaten, die Aussagen ihrer Kollegen und Nachbarn. Ganz hinten stieß sie auf etwas, das mit Sicherheit nicht in der Originalakte
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