Die stillen Wasser des Todes - Roman
Stimmung, es so aufzufassen. »Wieso haben Sie mich auf Freddie Atterton angesetzt, wenn Sie von Anfang an Craig im Verdacht hatten?«
Achselzuckend erwiderte Childs: »Es gibt immer Leute, denen die naheliegendste Erklärung am liebsten wäre. Ich habe ihnen den Gefallen getan. Ich dachte, dann würden Sie nur umso hartnäckiger nachbohren.«
Kincaid merkte, dass er die Zähne so fest zusammenbiss, dass seine Kiefer schmerzten. »Ich bitte um Verzeihung, Sir, aber ich mag es nicht, wenn man mich benutzt.«
Childs zog die Stirn in Falten, und als er sprach, klang seine Stimme ungewohnt erregt. »Wäre es Ihnen lieber gewesen, ich hätte den Fall irgendeinem Schwachkopf übertragen, der dann Freddie Atterton verhaftet hätte? Und sehen Sie nicht, was passiert wäre, wenn ich Sie auf Craig angesetzt hätte?
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass irgendjemand Ihnen auf die eine oder andere Weise in die Parade gefahren wäre. Wenn es Ihnen dann tatsächlich gelungen wäre, Craig den Mord an Meredith nachzuweisen, wäre meine Beteiligung nur zu offensichtlich gewesen. Und das hätte Craigs Verteidigung zu seinen Gunsten ausgeschlachtet.
So aber haben Sie Ihren Job gemacht, und wir haben eine unerwartete Lösung.« Childs legte die Hand auf die Akte Jenny Hart. Seine Augen funkelten.
Kincaids Handy meldete mit einem Piepsen den Eingang einer SMS . »Entschuldigen Sie«, sagte er, »aber das müsste Cullen sein.« Er zog das Telefon aus der Jackentasche und las die Nachricht, um dann wieder Childs anzusehen. »Wir haben den Beschluss.« Er konnte den Triumph in seiner Stimme nicht unterdrücken. »Ich werde ihn dem Mistkerl heute Abend noch zustellen.«
»Nein«, sagte Childs. »Das werden Sie nicht tun.«
»Was?« Kincaid starrte ihn an; er glaubte sich verhört zu haben.
»Sie werden den Beschluss nicht zustellen. Noch nicht.«
»Das glaube ich einfach nicht.« Kincaid schüttelte verwundert den Kopf. Änderte Childs jetzt plötzlich seine Meinung, nach allem, was er über Craig gesagt hatte? »Warum denn nicht, zum Teufel?«
Denis Childs ignorierte die wenig respektvolle Bemerkung und rückte seinen Krawattenknoten zurecht. Dann hievte er seine Körperfülle aus dem Sessel.
Kincaid sah Childs’ hünenhafte Gestalt über sich aufragen, und er hatte das plötzliche Gefühl, ein Bergrutsch könnte ihn verschütten.
»Weil«, antwortete Childs und blickte auf ihn herab, »– weil ich Deputy Assistant Commissioner a. D . Craigeinen Besuch abstatten werde.«
Er seufzte und presste mit einem angewiderten Ausdruck die Lippen aufeinander. »Ich werde wohl Superintendent Gaskill mitnehmen müssen, auch wenn es ihm nicht gefallen dürfte. Aber auf die Weise wird dieser elende Wurm von Gaskill lernen, dass er an seine Grenzen gestoßen ist.«
» Sie werden Angus Craig den Beschluss zustellen? Ein Beamter von Ihrem Rang?«
»Nein.« Childs klang unendlich geduldig. »Ich werde Angus Craig, quasi von leitendem Beamten zu leitendem Beamten, die Gelegenheit geben, in den Yard zu kommen und eine DNS -Probe abzugeben. Freiwillig. Einfach nur, um diese kleine unangenehme Angelegenheit zu klären.«
Er griff nach dem Burberry, der ordentlich an dem Garderobenständer hinter seinem Schreibtisch aufgehängt war. »Es ist eine notwendige Geste der Höflichkeit, Duncan. Man würde mich an den Pranger stellen, wenn ich es nicht täte. Und –« Childs hielt inne, und wieder sah Kincaid eine Gefühlsregung hinter der unerschütterlichen Fassade des Chief Superintendent aufblitzen wie die Rückenflosse eines Hais, die kurz aus dem Wasser auftaucht.
»Und«, fuhr Childs in vollkommen ungerührtem Ton fort, »ich will sein Gesicht sehen.«
21
»Ihr Spiegelbewohner«, sprach Alice, »kommt her!
Mich zu sehen ist viel, mich zu hören noch mehr;
Eine Ehre gar groß ist das Festgelag hier
Bei Königin Weiß und Schwarz – und Königin Mir!«
Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln (Deutsch von Christian Enzensberger)
Am Samstag um die Mittagszeit war Charlottes Geburtstagsparty in vollem Gang.
Gemma dachte, dass die Wettergötter wohl dem Geburtstagskind ihre Aufwartung machen wollten, denn wieder hatte der Tag schön und wolkenlos begonnen. In der Luft hing schon eine Vorahnung der Guy-Fawkes-Feuer, die am 5. November entfacht würden, und die Vortreppen und Ladeneingänge von Notting Hill waren mit Kürbissen geschmückt.
Doch zu Charlottes Party erschienen keine Gespenster und Kobolde – diejenigen Gäste, die
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