Die Stimme der Erde
Mund«, stieß Dienwald zwischen den Zähnen hervor, »oder du wirst es schwer bereuen!«
Diese Drohung hatte wenig Überzeugungskraft. Doch Philippa kannte ihn nicht lange genug, um das beurteilen zu können. Sie biß sich auf die Lippe, hielt auf der Treppe mit ihm Schritt und zitterte vor Kälte. Seine Hand schloß sich fest um ihren Oberarm. Aber er tat ihr nicht weh. Noch nicht.
Unterwegs begegneten sie drei Bedienerinnen und zwei gutbewaffneten Männern, die sich offenbar zum Wachdienst begaben. Er brachte Philippa in ein großes Schlafzimmer, dem seit langer Zeit die Pflege einer weichen Frauenhand fehlte. Darin gab es nur ein großes Bett mit einer dicken Strohmatratze und einer dunkelbraunen Wolldecke darüber. Dazu zwei rohgezimmerte Stühle, einen zerkratzten Tisch, eine große Truhe, einen einzigen Wollteppich in häßlichen Grünschattierungen und sonst nichts. Keine Gobelins oder andere Wandbehänge, keine farbigen Krüge und keine weichen Kissen auf den Stühlen. Es war das Zimmer eines Mannes, der auf jeden Luxus, ja, auf die kleinste Annehmlichkeit verzichtete. Vielleicht hatte er auch nie die Mittel gehabt, das Zimmer ordentlich auszustatten. Was auch der Grund für diese Kargheit war, Philippa gefiel das Zimmer gar nicht.
Wenn sie doch nur nicht beide allein wären! Sie wünschte, daß in den Wohnräumen eine ganze Armee kampierte, daß das Nebenzimmer eine Kapelle mit vielen Priestern und Nonnen wäre. Aber es gab nur sie beide. Er ließ ihren Arm los, drehte sich um, machte die Tür zu, schloß sie ab und steckte den Schlüssel in seinen Waffenrock. Dann zündete er die beiden Talgkerzen auf dem Tisch an.
»Heute ist kaum Mondschein«, sagte er mit einem Blick auf die Reihe der kleinen Fenster. »Das hättest du merken müssen. Aber du hast ja vor deinem verrückten Ausbruch überhaupt nicht nachgedacht.«
Philippa schwieg. Sie staunte. In den Fenstern war Glas! Zwar hatte auch Lord Henry Glasfenster in seinen Wohnräumen, aber er hatte sich laut über die hohen Kosten beklagt, bis ihre Mutter drohte, ihm mit der Streitkeule den Kopf einzuschlagen.
Dienwald kam auf sie zu. »Nein«, sagte Philippa und wich zurück.
Er blieb stehen, als hätte er einen anderen Entschluß gefaßt. »Ich habe Tancrid beauftragt, uns Essen und Wein zu bringen. Ich nehme an, daß du noch Hunger hast. Du bist doch unersättlich.«
Zu ihrer eigenen Überraschung schüttelte Philippa den Kopf.
»Du bist aus der Halle gerannt, bevor du die geschmorten Rosinen gekostet hast. Mein Koch versteht sich auf ihre Zubereitung. Ebenso gut wie auf Mandelkuchen mit Honig.« Er schwatzte endlos über verführerische Speisen, und sie stand die ganze Zeit wie versteinert dabei.
Dann klopfte es an der Tür. Vor Erleichterung wäre sie fast zusammengebrochen. »Du bist wohl froh, nicht mehr mit deinem begeisterten Gastgeber allein zu sein, wie? Es ist aber nur Tancrid, der uns Essen und Wein bringt. Bleib still stehen!«
Der Knappe kam mit einem Tablett herein, stellte es auf den Tisch und hantierte mit den Kannen.
»Geh!« sagte Dienwald, und Tancrid machte sich nach einem neugierigen Blick auf Philippa davon.
»Sie wüßten nur zu gern, ob ich dich jetzt vergewaltige«, bemerkte Dienwald trocken und setzte sich zu Tisch. »Der arme Tancrid hat sicherlich Angst, du könntest mir ein Messer in die Rippen jagen.« Es hörte sich nicht so an, als ob er sich darum Sorgen machte. Er goß sich Wein ein, lehnte sich zurück und trank.
»Wollt Ihr... wollt Ihr mich vergewaltigen?«
Dienwald reckte sich. »Ich glaube nicht... nicht heute abend. Ich habe bereits bei einer sehr hübschen Dirne gelegen und habe im Augenblick kein Verlangen mehr, schon gar nicht nach einem Mädchen von solcher Länge und solch ...«
»Ich bin nicht häßlich! Ich bin auch nicht übermäßig groß oder plump! Schon drei sehr ansehnliche Männer haben um meine Hand angehalten. Wie könnt Ihr es wagen zu behaupten, ich wäre Eurer Bemühungen nicht wert, ich wäre nicht nach Eurem Geschmack oder nach Eurem ...«
Dienwald brach in ein langanhaltendes Gelächter aus. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was los war.
Ganz plötzlich hatte sie sich aufs Bett gesetzt, die Hände vors Gesicht geschlagen und angefangen zu weinen. Ihre Schultern zuckten, sie schluchzte laut.
»Bei Gott, ich habe dir doch nichts getan! Hör auf zu heulen, Dirne, oder ich...«
Sie fuhr hoch und sagte, immer noch schluchzend: »Ich bin keine Dirne. Ich bin Philippa de
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