Die Stimme des Daemons
Gefangene. Ich glaube, es ist meine Mutter, aber sie weint eigentlich nie. Jedenfalls nicht so.«
»Diese Frau leidet sehr.«
»Wenn es meine Mutter ist, glaubt sie vielleicht, dass ich tot bin.«
»Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren«, pflichtete ihr die Frau mit schwerer Stimme bei, so als koste es sie große Mühe, es auszusprechen.
MaryAnn stellte sich auf das Feldbett, legte die Hände trichterförmig um den Mund und drückte sich an die Lehmwand.
»Mom!«, rief sie laut. »Mom! Ich bin’s, MaryAnn. Kannst du mich hören?«
Sie wartete und lauschte. Das Schluchzen der Frau klang noch lauter als vorher, und noch verzweifelter.
»Ich glaube nicht, dass sie mich hört«, sagte MaryAnn leise.
»Diese Wände sind dick, wahrscheinlich zu dick, dass man auch nur ein Wort verstehen kann. Könnte sein, dass sie nur noch ihre eigene Verzweiflung hört.«
MaryAnn wirbelte herum. »Meine Mutter ist nicht so«, versetzte sie zornig. »Sie würde alles für mich tun.«
»Das glaube ich dir ja, Kleines«, erwiderte die Frau. »Aber wenn sie glaubt, dass du tot bist, dann hält sie es vielleicht für ihre eigene Einbildung, wenn sie deine Stimme hört.«
»Oh?« MaryAnn ließ sich auf das Bett sinken. Sie schwieg eine Weile und fragte schließlich: »Werden sie uns etwas zu essen und zu trinken geben? Ich bin schon ziemlich durstig.«
Die Frau streckte die Hand aus und streichelte dem Mädchen übers Haar.
»Der Bullige bringt normalerweise einmal am Tag etwas zu essen, und auch Wasser, aber ich habe hier im
Dunkeln das Zeitgefühl verloren. Ich könnte nicht sagen, wie lange es her ist, dass er zum letzten Mal hier war.«
MaryAnn schniefte und lehnte sich an die Beine der Frau.
»Werden wir hier drin sterben?«
Die Frau setzte sich auf, öffnete die Arme und zog das Kind an ihre Brust.
»Ich will dich nicht anlügen, Kleines. Es besteht die Möglichkeit, dass wir hier sterben, aber ich habe nicht vor, abzutreten, ohne zu kämpfen. Bist du auch bereit dazu?«
MaryAnn drückte sich noch fester an die Frau und nickte.
34
»Hat er dich erkannt?«, fragte Zack, nachdem sie eine Weile kein Wort gesprochen hatten.
»Er hat schon gesagt, dass er mich von irgendwoher kennt, aber er hat nicht gewusst, von wo.«
»Wirklich?«
»Ich war hin und wieder im Fernsehen«, erläuterte Sam. »Ein paar Werbespots hier in der Gegend, ein paar Statistenrollen in irgendwelchen Krimis. Zweimal
habe ich eine Leiche in C.S.I. gespielt. Meine größte Rolle hatte ich 1986 in Magnum .«
»Im Ernst?«
»Ich wurde für zwei Folgen nach Hawaii eingeflogen. Eine große Rolle, der Name im Vorspann, alles was dazugehört.«
»Wen hast du gespielt?«
Sam entspannte sich ein bisschen in der Erinnerung an glücklichere Tage. »Ich war Magnums Neffe, ein junger Tunichtgut, der zu Besuch kommt, ohne zu erwähnen, dass er ein handfestes Kokainproblem hat, und außerdem hohe Schulden bei einem Drogenbaron.«
»Klingt gut«, meinte Zack.
»Ja«, seufzte Sam. »Ich dachte auch, ich hätte damit den Sprung geschafft, aber...« Er verfolgte den Gedanken nicht weiter, ließ die Vergangenheit lieber ruhen.
Sie schwiegen einige Augenblicke, dann sagte Zack: »Ist schon verrückt, wo wir manchmal landen. Das lässt sich echt nicht planen.«
35
Detective Preston ärgerte sich über seinen Kollegen.
»Warum sind wir überhaupt hier? Es ist acht Uhr vorbei, und ich sollte längst zu Hause sein und mir mit
meiner Frau Jeopardy ansehen. Sie hat versprochen, dass sie Popcorn macht, mit zerlassener Butter und einer Prise Meersalz.«
Er küsste sich genießerisch die Fingerspitzen.
»Und was hast du mir zu bieten?« Er breitete die Hände aus, wie um den ganzen Laden zu umfassen. »Ladendiebstahl.«
»Ich wollte dir ein Geschenk besorgen«, sagte Hogan trocken. »Aber ich habe vergessen, wie du den Wodka lieber hast – mit oder ohne Blutflecken.«
»Verdammt.« Preston grinste, steckte beide Daumen in den Gürtel und streckte den Bauch heraus, wie um sein texanisches Good-ol’-Boy-Erbe vorzuführen. »Schnaps ist Schnaps. Ich trinke ihn in allen Farben und Geschmacksrichtungen.«
Immer noch grinsend drehte sich Preston um und blickte auf den Fußboden hinter der Registrierkasse hinunter. Der vergossene Rum hatte das Blut des Opfers verdünnt und bildete eine purpurrote Pfütze. In dem Blut lagen jede Menge Glasscherben, in denen sich die fluoreszierenden Lichter des Geschäfts spiegelten.
Preston wurde wieder ernst.
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