Die Stimme des Feuers
ausreiten?«
Plötzlich hätte sie ihn gern gefragt, wo er die beiden letzten Nächte verbrachte hatte. Statt dessen sagte sie: »Ja, wenn du es gestattest, Mylord.«
Er richtete sich auf und gab Osbert einen Wink. »Mach ihre Stute fertig! Du kannst mitkommen, Kassia. Guy kommt auch mit. Das wird dir sicherlich Freude machen.«
Guy! »Ja«, sagte sie mit erhobenem Kopf. »Das macht mir Freude.«
Ein grollender Brummton tief aus der Kehle. Dann: »Ich erwarte dich draußen.« Er ging.
Der Reitertrupp bestand aus sechs Männern. Rolfe klärte sie auf, daß sie dem Kaufmann Drieux in dem jüngst verpachteten Dorf Wolffeton einen Besuch abstatten wollten. Zu Kassias Überraschung sagte Graelam kein Wort, als Guy seinen Zelter neben ihr parierte.
Freundlich lächelnd sagte er: »Ich habe dem Herrn berichtet, daß die Aborte die Nase nicht mehr belästigen.«
»Der Herzog wird angenehm überrascht sein«, sagte Graelam. »Hast du die Kissen für ihn fertig?«
Sie nickte.
»Da kann sich sein alter Hintern ja freuen«, sagte Guy lachend.
»Das hast du gut gemacht, Mylady«, sagte Graelam.
Das unerwartete Lob tat ihr ungemein wohl.
»Los, Galopp, Kassia!« rief Graelam.
Sie lachte vergnügt auf. Die weiche Sommerbrise fächelte ihr Haar, und sie roch die salzige Seeluft.
Dann verfielen sie wieder in Schritt und Graelam sagte: »Jetzt, da deine Wangen wieder rot und deine Augen klar sind, siehst du nicht mehr so krank aus.«
»Ich bin ja auch nicht krank«, sagte sie.
»Sag mir seinen Namen, Kassia!«
»Ich habe Blanche danach gefragt, aber sie wollte ihn mir nicht sagen.«
»Blanche!« Er schloß die Hände fester um die Zügel. Weiter sagte er nichts, sondern schlug dem Pferd die Hacken in die Flanken und galoppierte von ihr weg.
Das Dorf Wolffeton lag keine drei Kilometer von der Burg entfernt im Schutz eines Tales. Ein Dutzend Männer bauten an der Verteidigungsmauer, die über fünf Meter hoch werden und sie vor Angriffen von See aus schützen sollte. Mindestens ein Dutzend Zelte waren aufgebaut. Überall lag Schutt und Abfall herum. Als einziges war das Haus des Kaufmanns fertiggestellt. Drieux erwartete sie am Tor. Er war ein asketisch wirkender Mann mit schmalem Kopf und tiefliegenden blassen Augen, der ungefähr so alt wie ihr Vater war. Sie hatte ihn vor einigen Wochen in der Burg kennengelernt, wo er außerordentlich höflich mit ihr umgegangen war.
»Mylord, Mylady!« begrüßte er sie mit tiefer Verbeugung.
Graelam stieg vom Pferd. »Ihr macht gute Fortschritte, wie ich sehe. Aber Ihr braucht noch mehr Männer.«
»In einer Woche treffen noch zwölf Familien ein«, sagte Drieux. »Ende des Jahres können wir auf eigenen Füßen stehen.«
Während Guy mit den übrigen zur Mauer hinüberritt, sagte Graelam: »Ich habe meine Frau mitgebracht. Sie soll sich die Waren ansehen, auf die wir uns geeinigt haben. Komm, Kassia!«
Beim Eintreten mußte Graelam sich bücken. Die Waren nahmen das ganze Wohnzimmer ein. Die Deckenbalken hingen hoch, der Fußboden war noch mit Erde bedeckt. Es roch nach frisch geschlagenem Holz. Auf mehreren langen Tischen lagen Stoffballen, Gewürzkisten und blitzende neue Werkzeuge. »Hier ist der Teppich, Mylord.«
Ein Knabe half Drieux beim Ausrollen eines prächtigen roten Wollteppichs. Kassia atmete tief ein. »Oh, Graelam, er ist wunderschön!«
Er sah ihre Begeisterung, und seine Augen blitzten auf. Sie befühlte den dicken Stoff und fuhr mit dem Finger die verschlungenen Muster nach. »Aus Flandern?« fragte sie.
»Ja«, bestätigte Drieux.
»Und der andere, der für unser Schlafzimmer?« fragte Graelam. Der andere Teppich war in lebhaftem Blau gehalten. Kassia stellte sich vor, wie sie mit den Füßen darin versinken würde. »Er ist wunderschön«, flüsterte sie. Plötzlich dachte sie an die Kosten und daran, daß die wertvolle Halskette aus Graelams Truhe gestohlen worden war. »Eigentlich brauchen wir ihn nicht, Mylord. Er ist bestimmt sehr teuer.«
»Das macht nichts. Ich will ihn haben.« Aufmunternd erwiderte er ihr scheues Lächeln.
»Wollen wir ihn in das Zimmer des Herzogs legen, solange er bei uns weilt?«
»Ausgezeichnete Idee«, sagte er. »Der Herzog wird bestimmt glauben, daß du genau die Herrin bist, die Wolffeton braucht.« Und damit ging er, um sich die Befestigungsanlagen des Dorfes anzusehen.
Kassia folgte ihm nach draußen und sah den Arbeitern aus der Feme zu. Drieux gesellte sich zu ihr.
»Ihr werdet sicherlich ein wohlhabender
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