Die Stimme des Feuers
klugen Worten seines Vaters gezweifelt hatte. Frauen dienten der Zucht, und ein Mann mußte seine Ehefrau von anderen Männern fernhalten, um sicher zu gehen, daß nur sein Samen in ihren Körper gelangte. Hatte de Fortenberry sie noch vor der Flucht geliebt?
Plötzlich setzte er sich aufrecht und wandte den Kopf. Sie saß stumm wie eine Statue da. »Kassia«, sagte er mit beherrschter Stimme, »leg deine Kleider ab! Ich will sehen, ob du de Fortenberrys Samen im Leibe hast oder ob er noch an deinen Schenkeln klebt.«
Es dauerte eine Weile, bis sie die Bedeutung seiner Worte erfaßte. Dann stieg ihr die Zornesröte ins Gesicht. Sie umklammerte die Seitenlehnen des Sessels, bis die Knöchel weiß hervortraten, und sagte: »Graelam, bitte, du mußt mir glauben. Dienwald de Fortenberry ist nie mein Liebhaber gewesen!«
»Wenn du mir nicht gehorchst, reiße ich dir die Kleider vom Leibe.«
»Warum willst du mir nicht glauben?«
Sein Kinn verkantete sich. Schnell wusch er sich Kopf und Körper. Ebenso schnell stieg er aus dem Zuber und trocknete sich ab. Aus dem Augenwinkel sah er sie aufspringen und zur Tür rennen. Als sie die Hand auf den Messinggriff legte, fing er sie ein.
»Bitte«, sagte sie schweratmend, »bitte glaub mir doch ein einziges Mal!«
»Willst du, daß ich dir die Kleider herunterreiße?«
»Mein einziges Verbrechen besteht darin, daß ich Mitleid mit einem Mann hatte, der freundlich zu mir war.« Ihr Kinn ging in die Höhe. »Ich bin froh, daß er klug genug war, zu fliehen. Ich bin froh, daß er nicht hiergeblieben ist, um sich von dir töten zu lassen.«
Sehr langsam wandte er sich von ihr ab. Über die Schulter hinweg sagte er: »Wenn du es wagst, das Zimmer zu verlassen, wirst du es schwer bereuen.«
Er zog sich den Schlafrock an, schnürte den Gürtel zu und trat zu ihr. »Zieh dich aus!« sagte er ganz leise.
»Nein«, sagte sie, aber es kam nur als ein Krächzen heraus. Da riß er ihr das olivgrüne Wollkleid vom Leib. Sie sträubte sich, aber ohne Erfolg. Als sie nackt und zitternd vor ihm stand, trat er zurück. Ein grausames Licht funkelte in seinen Augen. Nachdenklich strich er sich über das Kinn. »Du bist ja eine richtige Frau geworden, nicht wahr, mein Weib? Was für hübsche Brüste du hast! Und dieser weiche, zarte Unterleib!«
Sie wollte seine grausamen Worte nicht mehr hören und preßte die Hände an die Ohren.
Er lachte, nahm sie wie ein Bündel auf die Arme und trug sie zum Bett. »Halt still!« sagte er kalt, drückte ihr die Beine auseinander und sah auf sie herab. Schlimmer kann man nicht gedemütigt werden, dachte sie. Als sich seine Hand näherte, zuckte sie zusammen.
»So«, sagte er danach. »Wenn du ein Kind im Leibe trägst, dann ist es von mir. Jedenfalls diesmal.«
Doch als er sah, wie sie litt, schnitt es ihm ins Herz. Es verlangte ihm danach, sie tröstend zu liebkosen. Und dafür haßte er sich.
»Es geht nicht anders, Kindchen. Ihr könnt hier nicht bleiben.«
Kassia seufzte. Etta hatte recht.
Sie klammerte sich an ihren Arm, als sie in den großen Saal ging. Doch dort richtete sie sich kerzengerade auf. Vom Burghof her war das Klappern von Pferdehufen zu hören. Erleichtert und zugleich schmerzerfüllt fragte sie sich, ob Graelam dabei war, wieder wegzureiten. Doch oben von der Treppe aus sah sie, daß Sir Walter und drei Männer sich zum Wegreiten fertig machten. Hoffnung regte sich in ihrer Brust. Hatte Graelam den Ritter aus seinem Dienst entlassen? Sie wollte vortreten, stoppte aber jäh ab, als Graelam sich nach ihr umdrehte, als hätte er geahnt, daß sie da war. Der helle Schein der Morgensonne fiel auf sein dunkles Haar. Einen Moment
lang hatte sie das Bild vor Augen, wie er sie fest in den Armen gehalten, ihr Liebesworte ins Ohr geflüstert und sie zur höchsten Lust geführt hatte.
Sie verharrte in argwöhnischem Schweigen, als er auf sie zukam. Mit ausdrucksloser Miene fragte er sie: »Möchtest du nicht wissen, wohin Sir Walter reitet?«
»Hast du ihn entlassen?« stieß sie hervor.
Er lachte kurz und hart auf. »Nein, mein Weib, ich habe ihn zum neuen Kastellan von Crandall gemacht. Er wird Rolfe ablösen, den ich dort vorübergehend eingesetzt habe.«
»Du ... belohnst ihn auch noch? Nach allem, was er getan hat?«
Er ging die Stufen zu ihr hinauf. »Sag mir, Kassia, sag mir noch einmal, warum du dich damals von Dienwald de Fortenberry nach Wolffeton zurückbringen ließest! Sag mir, warum du nicht bei ihm bliebst oder dich zu
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