Die Stimme des Feuers
deinem Vater zurückbringen ließest! Sag mir, warum du heute nacht nicht mit ihm fortgegangen bist!«
»Ich bin nie von dir fortgegangen, Graelam. Er hat mich damals gefragt, ob er mich in die Bretagne bringen soll, und ich habe geantwortet, daß ich nach Haus will.«
»Und heute nacht hat er dich wohl nicht mitnehmen wollen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Also wollte er dich mitnehmen?«
Sie sah ihn an wie ein verwundetes Tier.
»Warum bist du nicht mit ihm gegangen?«
»Ich habe ihm gesagt, daß er mich durch seine Flucht zur Hölle auf Erden verurteilt.«
»Warum bist du nicht mit ihm gegangen?« wiederholte er so drohend, daß ihr schauderte.
Doch es kam ihr nicht in den Sinn, zu lügen. Statt dessen sagte sie leise: »Ich konnte nicht mit ihm gehen, weil du mein Mann bist und ich dich liebe.«
»Nicht schlecht, Mylady«, sagte er mit schneidender Ironie, und sie zuckte zusammen. »Also hat dein gutaussehender Liebhaber dich gar nicht aufgefordert, mit ihm zu gehen. Hat er dir zu der Lüge geraten, um meinen Zorn zu besänftigen?«
»Nein«, sagte sie flüsternd.
»Ach, wie leicht und wie überzeugend dir die Lügen von der Zunge gehen, Mylady! Schade, daß du keinen Mann geheiratet hast, der ein leichtgläubiger Narr ist.«
Zornig reckte sie das Kinn. »Ich habe niemanden geheiratet. Du wirst dich erinnern, Mylord, daß ich gar nicht gefragt wurde. Und mir scheint, daß mein Mann ein Narr ist!«
»Verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen!« sagte er in tödlichem Emst. »Geh, bevor ich dich totschlage!«
Kassia sah ihn erst beim frühen Abendessen wieder. Unter den Männern war die gespannte Atmosphäre fast körperlich zu spüren. Graelam sprach kein Wort mit ihr. Sie hörte, wie er mit seinen Männern über die Lage auf Crandall diskutierte. Die wenigen Soldaten, die dem Burgvogt de Cercy treu geblieben waren, hatten den Kampf aufgenommen.
Sie hörte Ian, einen jungen Söldner, der Graelam verehrte, ehrerbietig sagen: »Ihr habt diesen Hurensohn schnell erledigt, Mylord. Er war Eurer Kraft nicht gewachsen.«
Wen meint er? fragte sich Kassia. De Cercy?
»Seine Habgier hat ihn träge werden lassen«, sagte Graelam nachlässig.
Als die Männer anfingen, jedes Scharmützel bis in die letzte Einzelheit zu besprechen, verging Kassia der Appetit. Still verließ sie den Tisch. Graelam befand sich gerade in lebhaftem Gespräch mit Blount.
Sie hatte in den letzten Tagen an ihrem neuen Kleid genäht. Aber jetzt rührte sie es nicht an. Wozu auch? Sie würde nie an einen Ort kommen, wo sie ein so schönes Gewand tragen konnte.
»Ich dachte, ich hätte es dir deutlich genug zu verstehen gegeben, daß du dich ohne meine Genehmigung nicht zu entfernen hast, Kassia.«
»Verzeih mir«, sagte sie. »Es sah so aus, als seist du in ein wichtiges Gespräch verwickelt. Da wollte ich dich nicht stören.«
Graelam gab keine Antwort. Sein Blick fiel auf den kostbaren blauen Seidenstoff. Er ging hin, nahm ihn hoch und strich mit der Hand darüber. »Du wirst darin sehr hübsch aussehen. Ich habe dir doch gesagt, daß ich den Stoff aus Akkra habe, nicht wahr?« Er legte den Stoff wieder weg. »Du mußt dazu auch Schmuck tragen. Ich glaube, dieser hier wird einen dramatischen Eindruck machen.« Er zog etwas aus der Innentasche seines Waffenrocks und warf es ihr zu.
Sie fing es auf, und im nächsten Augenblick starrte sie auf die schwere goldene Halskette, die mit Edelsteinen von unglaublicher
Schönheit besetzt war. »Sie ist hübsch«, sagte sie. »Warum gibst du sie mir, Mylord?«
»Willst du ewig weiter Theater spielen, Mylady? Ich nehme an, daß du die Halskette wiedererkennst. Du mußt sie ja kennen. Sie hat dir große Schwierigkeiten bereitet.«
Sie sog scharf den Atem ein und ließ die Kette fallen, als wäre sie eine giftige Schlange. »Dann ist es die Halskette, die Blanche an de Fortenberry gegeben hat«, sagte sie tonlos und blickte auf den verschlungenen Haufen Gold auf dem Teppich zu ihren Füßen. »Wo hast du sie her?«
»Ein Knecht fand sie in de Fortenberrys Verlies, im Stroh verborgen. Wahrscheinlich ist sie ihm aus dem Waffenrock gerutscht. Und ich denke, daß er sie dir mitgebracht hat.«
Graelam sah ihr in die schmerzerfüllten Augen und dachte: Ich bin ein Dummkopf, daß mich das traurig stimmt. Schließlich sagte er: »Hast du dir den Gestank aus dem Verlies abgewaschen?«
Sie nickte mit leerem Blick.
»Dann geh ins Bett! Ich habe seit vielen Tagen keine Frau mehr gehabt.«
Sie
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