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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Gefährten versprach.
    Wer meinen Ausführungen gefolgt ist, wird vielleicht bemerkt haben, daß ich mich, als ich das »Karusselldenken« von der Beziehung zwischen mir und meinem Thema auf das Thema selbst übertrug (das heißt auf die Beziehung zwischen den Forschern und der »Stimme des Herrn«) – gewissermaßen aus einer heiklen Lage herauswand, indem ich den Vorwurf »nicht enthüllter Inspirationsquellen« derart erweiterte, bis das gesamte Projekt darin Platz fand. Aber so und nicht anders vorzugehen, lag in meiner Absicht, noch bevor ich kritischen Bemerkungen mein Ohr lieh. Ich will es auf die Spitze treiben, was nötig ist, um meinen Gedanken zu verdeutlichen, und behaupte, daß mir im Verlaufe der Arbeiten – es fällt mir schwer zu sagen, wann genau dies eintrat – allmählich der Verdacht kam, daß der »Sternenbrief« für uns, die wir uns mühten, ihn zu enträtseln, zu etwas wie einem psychologischen Assoziationstest, einem besonders komplizierten Rorschach-Test geworden war. Denn genau wie die Testperson, die in den bunten Klecksen Engel oder unheilverkündende Vögel wahrzunehmen meint, in Wirklichkeit das verschwommene Bild durch das ergänzt, was »in ihrer Seele vorgeht«, so versuchten auch wir hinter dem Schleier unverständlicher Zeichen etwas zu ermitteln, das vor allem in uns selber steckte.
    Dieser Verdacht erschwerte mir die Arbeit, und er zwingt mich nun zu Bekenntnissen, die ich mir lieber erspart hätte, ich bin jedoch zu dem Schluß gelangt, daß ein Wissenschaftler, der in einem solchen Grade außer Gefecht gesetzt und hilflos ist, sein Fachwissen nicht länger als isolierte Drüse oder Kauwerkzeug betrachten und daher nicht ein einziges seiner Probleme verheimlichen darf, und sei es noch so peinlich. Der Botaniker, der Blümchen bestimmt, verfügt über kein sehr großes Feld, um seine eigenen Phantasievorstellungen, Hirngespinste und womöglich gar schändlichen Leidenschaften auf die so entstehenden Schemata zu projizieren. Den Erforscher altertümlicher Mythen erwartet schon ein größeres Risiko, weil er – angesichts der Überfülle – allein durch die Auswahl, die er trifft, seine Träume und seine nichtwissenschaftlichen Wachzustände vielleicht mehr belegt als die strukturellen Invarianten der Mythen selber.
    Die Leute vom Projekt waren gezwungen, den nächsten halsbrecherischen Schritt zu tun, als sie ein Risiko der hier dargestellten Art von bis dahin unbekannten Ausmaßen auf sich nahmen. Keiner von uns weiß daher, inwieweit wir Apparate einer objektiven Analyse waren, inwieweit von unserer Zeit geformte, für sie typische Vertreter der Menschheit und inwieweit schließlich jeder nur sich selbst repräsentierte und ihn die nicht mehr kontrollierbaren Regionen seiner – vielleicht fieberkranken, vielleicht wunden – Psyche zu Hypothesen über den Inhalt des »Briefes« inspirierten.
    Als ich derartige Befürchtungen äußerte, taten sie viele meiner Kollegen als »Schnickschnack« ab. Sie gebrauchten andere Worte, aber ihr Sinn war ebender.
    Ich verstand sie gut. Das Projekt stellte einen Präzedenzfall dar, in dem, wie die kleinen Holzpuppen in der großen,weitere Präzedenzfälle steckten, allen voran der, daß Physiker, Technologen, Chemiker, Nukleoniker, Biologen, Informationstheoretiker niemals zuvor einen Forschungsgegenstand in den Händen gehabt hatten, der nicht nur ein bestimmtes materielles, also natürliches Rätsel darstellte, sondern der mit Überlegung von einem Jemand geschaffen und abgesandt worden war, wobei diese Überlegung auch potentielle Empfänger mit hatte einkalkulieren müssen. Da sich solche Wissenschaftler darin üben, sogenannte Spiele mit »der Natur« auszutragen, die unter keinen Umständen als personifizierter Gegner aufgefaßt werden darf, räumen sie die Möglichkeit nicht ein, daß hinter einem zu untersuchenden Objekt tatsächlich jemand stehen kann und daß man über das Objekt nur dann etwas erfährt, wenn man gedanklich bis zu jenem vollständig anonymen Urheber vordringt. Obwohl sie also immerhin wußten und sogar sagten, daß es sich um einen realen Absender handelte, wirkte ihr ganzes Lebenstraining, ihre ganze erworbene fachliche Routine jenem Wissen entgegen.
    Es leuchtet einem Physiker nicht ein, daß jemand absichtlich Elektronen auf Orbits gebracht haben soll, eigens zu dem Zweck, damit er sich über ihre Konfigurationen den Kopfzerbrechen muß. Er weiß genau, daß eine Hypothese über einen Urheber der Orbits in

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