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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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seiner Physik völlig überflüssig, mehr noch, nachgerade unzulässig ist. Doch beim Projekt wurde das Unmögliche zur Realität, erwies sich das bisherige Herangehen der Physik als unbrauchbar – es war eine regelrechte Pein. Was ich hier gesagt habe, genügt gewiß, um zu erklären, warum ich beim Projekt eine eher isolierte Stellung innehatte – im theoretischen, allgemeinen, nicht im hierarchisch-administrativen Sinne, selbstverständlich.
    Man warf mir vor, ich sei zu wenig »konstruktiv«, weil ich dauernd meinen Senf parat hatte und ihn ins Getriebe fremder Überlegungen schmierte, bis sie sich verklemmtenund festfuhren, ich selbst hingegen nicht allzu viele nützliche Beiträge lieferte, mit denen »sich etwas anfangen ließ«. Baloyne drückt sich im übrigen in seinem »Kongreßbericht« höchst löblich über mich aus (wie ich hoffe, nicht nur aus Gründen der Freundschaft, die uns verbindet), was vielleicht zum Teil auf seine – auch administrative – Stellung zurückzuführen ist. Denn während in jeder Teilforschungsgruppe die Ansichten, nach Zeiten des Schwankens, dann in einer einzigen, von der ganzen Gruppe anerkannten Meinung zusammenflossen, sah einer, der wie Baloyne im Wissenschaftlichen Rat saß, genau, daß die Ansichten der einzelnen Gruppen mitunter diametral auseinandergingen. Die Koordinationsstruktur des Projekts selbst, nach der die einzelnen Sektionen isoliert voneinander arbeiteten, hielt ich im übrigen für sehr vernünftig, weil sie Erscheinungen von der Art einer »Fehlerepidemie« von vornherein vereitelte. Diese »Informationsquarantäne« wirkte sich allerdings auch nachteilig aus. Doch damit fange ich schon an, auf Einzelheiten einzugehen – verfrüht. Es ist also höchste Zeit, daß ich mich der Schilderung der Ereignisse zuwende.

III
    Als Bladergroen, Nemes und Schigubow mit seiner Gruppe die Neutrinoinversion entdeckten, wurde ein neues Kapitel in der Astronomie aufgeschlagen – die Neutrinoastrophysik. Sie kam schlagartig außerordentlich in Mode, und auf der ganzen Welt begann man die kosmische Strahlung dieser Teilchen zu untersuchen. Das Observatorium auf dem Mount Palomar installierte sogar, und zwar als eines der ersten, eine Apparatur mit großem Automatisationsgrad und mit einem Auflösungsvermögen, das für die damalige Zeit hervorragend war. Vor dieser Apparatur, konkret gesagt, dem sogenannten Neutrinoinversor, standen die interessierten Wissenschaftler regelrecht Schlange, und der Leiter des Observatoriums, damals Professor Ryan, hatte eine Menge Scherereien mit den Astrophysikern, besonders mit den jungen, weil jeder von ihnen fand, seinem Forschungsprogramm gebühre der Vortritt.
    Unter denen, die Glück hatten, waren auch zwei junge Männer, Hailer und Mahoun, beide sehr ehrgeizig und durchaus begabt – ich kannte sie, wenn auch nur flüchtig. Sie registrierten die Maxima der Neutrinostrahlung bestimmter ausgewählter Himmelsregionen, wobei sie nach Spuren des sogenannten Stoeglitzphänomens suchten – benannt nach einem deutschen Astronomen der älteren Generation.
    Das Phänomen, das als die Neutrinoentsprechung der Rotverschiebung alter Photonen galt, war irgendwie nicht ausfindig zu machen, weil ja, wie sich einige Jahre später herausstellen sollte, die Stoeglitzsche Theorie falsch gewesen war. Doch die jungen Leute konnten das nicht wissen, und so kämpften sie denn wie die Löwen, damit man ihnen nicht vorzeitig die Apparatur wegnahm, und dank ihrem Unternehmungsgeist harrten sie fast zwei Jahre daran aus,um schließlich mit leeren Händen abzutreten. Die kilometerlangen Datenbänder wanderten ins Archiv des Observatoriums. Wenige Monate danach geriet ein Großteil davon einem gewitzten, wenn auch nicht sonderlich begabten Physiker oder vielmehr dem Abgänger einer nicht sehr bekannten Hochschule im Süden in die Hände, der wegen unmoralischer Handlungen relegiert worden war, nachdem man auf einen Prozeß verzichtet hatte, da etliche ehrenwerte Personen in den Fall verwickelt waren. Jener gescheiterte Physiker, Swanson mit Namen, gelangte unter ungeklärten Umständen in den Besitz der Bänder. Man vernahm ihn später in dieser Sache, doch man erfuhr nichts, weil er seine Aussagen fortwährend änderte.
    Swanson war übrigens ein interessanter Bursche. Er betätigte sich als Rohstofflieferant, aber auch als Bankier, ja sogar als Seelentröster zahlloser Spinner, die sich früher damit begnügten, ein Perpetuum mobile zu bauen und sich mit der

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