Die Stimme des Herrn.
ebenso kompetenter Partner entpuppen konnte wie jenes Wesen aus der ersten Variante.
Es fehlte auch nicht an radikal abweichenden Auffassungen. Nach einer anderen Hypothesengruppe oder auch -familie (denn die Hypothesen jedes Kreises verband eine eigentümliche Verwandtschaft) beschrieb der Code nicht eine »Person«, sondern eine »Informationsmaschine«, also eine Art Werkzeug, und nicht den Vertreter einer Rasse, die ihn abgesandt hatte. Die einen verstanden unter so einer Maschine etwas wie eine aus dem »Froschlaich« aufgebaute Bibliothek oder auch einen »Plasma-Gedächtnisbehälter«, der womöglich fähig war, die in ihm enthaltenen Inhalte mitzuteilen oder sogar über sie zu »diskutieren«. Andere vermuteten eher ein »Plasma-Hirn« vom Analog-, Digital- oder auch kombinierten Typ, das Fragen nach den Absendern nicht beantworten könne, das aber gewissermaßen ein »technologisches Geschenk« darstelle, und der Code sei der Akt, bei dem – über die Weiten des Weltalls hinweg – die eine Zivilisation der anderen ihr vollkommenstes Instrument zur Informationsumwandlung überreiche.
Diese Hypothesen hatten allesamt auch ihre »schwarzen« oder auch »dämonischen« Varianten, die, wie manche behaupteten, von der übermäßigen Lektüre von ScienceFiction-Literatur herrührten. Was da abgeschickt worden war, mochte es nun ein »Wesen«, eine »Frucht« oder eine »Maschine« sein, würde, so meinten sie, nach der Materialisierung danach trachten, die Herrschaft über die Erde zu erobern. Und innerhalb dieses Segments von »Glaubensvorstellungen« verlief wiederum eine Trennlinie, denn manche Anhänger der »Welteroberungstheorie« glaubten,es handele sich um einen in der Galaxis geplanten »Invasionsakt«, andere hingegen waren, umgekehrt, für einen »kosmischen Freundlichkeitsakt«, denn auf diese Weise leisteten hochentwickelte Zivilisationen angeblich bei anderen »Geburtshilfe« und erleichterten damit die Entstehung einer »vollkommeneren« Gesellschaftsstruktur in lokalem Interesse und nicht im Interesse der Absender.
Alle diese Hypothesen (es gab noch mehr davon), hielt ich nicht nur für falsch, sondern sogar für unsinnig. Ich war der Auffassung, der »Sternencode« beschreibe weder ein »Plasma-Hirn« noch eine »Informationsmaschine« noch einen »Organismus« noch eine »Keimzelle«, weil das durch ihn bezeichnete Objekt in unseren Begriffskategorien gar nicht existierte, sondern dies sei der Bauplan einer Kirche, der einem Australopithekus geschickt, eine Bibliothek, die einem Neandertaler zugänglich gemacht worden war. Ich glaubte, der Code sei nicht für eine Zivilisation bestimmt, die auf einer derart niedrigen Entwicklungsstufe stand wie die unsrige, und aus diesem Grund würden wir auch nicht fähig sein, etwas Sinnvolles mit ihm zu beginnen.
Man nannte mich deshalb einen Nihilisten, und Wilhelm Eeney berichtete seinen Auftraggebern, ich sabotiere das Projekt, was mir zu Ohren kam, ohne daß ich ein eigenes Abhörnetz besessen hätte.
Ich hatte schon fast einen ganzen Monat an der »Stimme des Herrn« gearbeitet, als sie uns plötzlich dank der Ergebnisse des Biologenteams in einem völlig neuen Licht erschien. Wir hatten beim Projekt ein sogenanntes Buch des Kleinen Hundes, in welches jeder seine Forderungen, seine kritischen Anmerkungen zu fremden Hypothesen, eigene Vorhaben, Einfälle oder Forschungsresultate eintragen konnte. Das Ergebnis der Biologen hatte darin einen ehrenvollen, vielleicht sogar den wichtigsten Platz inne. Romney war auf die Idee gekommen, Versuche von ganz anderem Charakter durchzuführen als die, von denen seine Kollegenin Anspruch genommen waren. Romney gehörte, neben Rainhorn, zu den wenigen Gelehrten der älteren Generation beim Projekt. Wer seine »Entstehung des Menschen« nicht gelesen hat, der weiß nichts über die Evolution. Er hatte den Ursachen der menschlichen Intelligenz nachgespürt, und er hatte sie in jenen zufälligen Umständen gefunden, die, neutral, als sie eintraten, im nachhinein, rückschauend betrachtet, eine höhnische Tragweite erlangten, da sich der Kannibalismus als Verbündeter der geistigen Entwicklung, die Bedrohung durch die Eiszeit als Voraussetzung für eine Urkultur, das Benagen von Knochen als Inspiration für die Entstehung von Werkzeugen und das noch von den Fischen und den Reptilien überkommene Zusammenfallen der Geschlechts- und der Ausscheidungsorgane als topographisches Gerüst nicht nur der Erotik, sondern auch
Weitere Kostenlose Bücher