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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Zimmertemperatur, unter normalem Druck und in nicht zu großer Menge bildete sie eine zähe, glänzende Flüssigkeit, die tatsächlich an die von einer Schleimhülle umgebenen Froscheier erinnerte, woher ja auch ihr Name stammte.
    Die Biophysiker hatten gleich etwa einen Hektoliter dieses Pseudoplasmas hergestellt, das sich, in einem luftleeren Behälter, anders verhielt als der »Froschlaich« und wegeneines bestimmten merkwürdigen Effekts auf den bewußten dämonischeren Namen getauft worden war.
    In der Struktur dieses Gebildes spielten der Kohlenstoff, aber auch das Silizium und die schweren Elemente eine erhebliche Rolle, die in irdischen Organismen praktisch nicht vorhanden sind. Es reagierte auf bestimmte Reize, erzeugte Energie – denn es strahlte Wärme aus –, aber es kannte keinen Stoffwechsel im biologischen Sinne. Anfangs hatte es den Anschein, als sei dies das unmögliche und dennoch Wirklichkeit gewordene Perpetuum mobile, allerdings in Gestalt eines Kolloids und nicht einer »Maschine«. Da dies wie ein Anschlag auf die geheiligten Gesetze der Thermodynamik aussah, wurde es sehr, strengen Untersuchungen unterzogen. Am Ende kamen die Nukleoniker dahinter, daß es Kernreaktionen vom »kalten Typ« waren, aus denen das Gebilde die Energie schöpfte, um seinen Zustand aufrechtzuerhalten – etwas wie ein »Zirkuskunststückchen«, eine akrobatische Vorführung von Riesenmolekülen, die, isoliert, eigentlich unbeständig sind. Es löste diese Reaktionen aus, wenn es eine bestimmte, die sogenannte kritische Masse erreicht hatte, wobei nicht nur die Menge der Substanz, sondern auch ihre Zusammensetzung entscheidend war.
    Die Reaktionen waren schwer nachzuweisen, weil es die gesamte Energie, die frei wurde, sowohl die Strahlenenergie als auch die kinetische Energie der Kernsplitter, restlos verschlang und »für den eigenen Bedarf« umwandelte. Für die Spezialisten war dies eine regelrecht erschütternde Entdeckung. Im Grunde genommen sind die Atomkerne im Innern eines jeden irdischen Organismus »Fremdkörper« oder zumindest neutrale Körper. Der Lebensprozeß dringt niemals bis zu den ihnen innewohnenden energetischen Möglichkeiten vor, er vermag die in ihnen gespeicherten riesigen Kräfte nicht zu nutzen – die Atome im Gewebe sind eigentlich nur Elektronenhüllen, denn sie allein sind anden biologischen (den chemischen) Reaktionen beteiligt. Daher spielen die in das System gelangten radioaktiven Atome, die mit dem Wasser, der Nahrung oder der Luft dorthin »eingeschleppt« werden, die Rolle von Eindringlingen, die nur durch äußere Ähnlichkeit (das heißt die der Elektronenhüllen) »getarnt« sind und so vor dem zu solchen Unterscheidungen unfähigen lebenden Gewebe gewöhnliche, normale, also nichtradioaktive Teilchen »vortäuschen«. Jede »Explosion«, jede Art von Zerfall eines solchen ungebetenen nuklearen Gastes stellt für die lebende Zelle eine winzige Katastrophe dar, die immer schädlich ist, wenngleich nur in geringem Ausmaß.
    Der »Froschlaich« hingegen kam ohne solche Prozesse nicht aus, sie waren seine Nahrung und seine Luft, denn andere Energiequellen benötigte er nicht, ja konnte er nicht einmal nutzen. Der »Froschlaich« wurde zum Fundament eines Gebäudes von Hypothesen, bedauerlicherweise eines wahren Turms zu Babel, so sehr unterschieden sie sich voneinander.
    Nach den einfachsten Auffassungen stellte der »Froschlaich« ein Protoplasma dar, aus dem die Absender des Sternencodes gebaut waren. Um ihn herzustellen, hatte man, wie ich erwähnte, nur einen kleinen Teil (der sicherlich nicht 3–4% überstieg) der gesamten Codeinformation verwendet, den, der sich in Syntheseoperationen »übertragen« ließ. Die Verfechter der ersten Ansicht meinten, der ganze Code sei die Beschreibung eines einzigen Absenders, und wenn es gelänge, ihn vollständig zu realisieren, stünde ein lebendiges und intelligentes Wesen vor uns, das einer galaktischen Zivilisation entstamme und per Neutrinostrahlung zu den irdischen Empfängern »herübertelegrafiert« worden sei.
    Laut anderer, ähnlich gearteter Vermutungen war weniger die »Atombeschreibung« eines ausgereiften Organismus von den Sternen an uns abgesandt worden als vielmehretwas wie eine Keimzelle, ein Ei, das zur Entwicklung oder auch zur Ausbildung einer Frucht fähig war. Es konnte auch die Frucht selbst sein, die entsprechend genetisch programmiert war und sich, wenn man sie auf der Erde materialisierte, für die Menschen als

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