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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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eine Unmenge interessanter Einzelprobleme hervorgebracht und real – ich habe Beispiele dafür angeführt – zu bedeutenden Entdeckungen geführt hatte.
    Zugleich schwante jedoch der Spitze, jenen »großen Vier«, zunächst vielleicht noch dunkel, daß man hier bereits mit der Untersuchung der Bäume begann, vor denen man womöglich das Bild des Waldes, das immer schwerer greifbar war, aus dem Auge verlor; daß die Routine, inzwischen gebührend ausgewogen und durchaus wirkungsvoll in ihren systematischen Schritten, das Projekt selbst verschlingen, es in einem Meer von einzelnen Fakten und Beiträgen ertränken könne und daß damit die Chance vertan wäre zu verstehen, was geschehen war. Die Erde hatte ein Signal von den Sternen empfangen, eine so inhaltsvolle Nachricht, daß zahllose Forschungsgruppen jahrelang von den herausgepickten Krümchen zehren konnten, und gleichzeitig löste sich jene Nachricht selbst in Nebel auf, dessen Unbegreiflichkeit, durch eine Fülle kleinerer Erfolge verhüllt, immer weniger störte. Vielleicht waren hier einfach nur psychische Abwehrmechanismen am Werk, vielleicht die Gewohnheiten von Leuten, denen es in Fleisch und Blut übergegangen ist, bis zur Gesetzmäßigkeit von Erscheinungen vorzustoßen und nicht nach den Ursachen zu fragen, die ebendiese und keine anderen Gesetzmäßigkeiten hervorgebracht haben.
    Diese Fragen hatten traditionsgemäß die Philosophie, die Religion zu beantworten, nicht aber die Naturwissenschaftler – jene Gelehrten, die der Versuchung trotzen, die hinter der Schöpfung stehenden Motive begreifen zu wollen. Hier aber verhielt es sich ganz anders: Die in der historischen Entwicklung der empirischen Wissenschaften diskreditierte Haltung des »Motiventrätslers« blieb die einzige, die letzte, die noch einen Sieg erhoffen ließ. Gewiß, hinter den Eigenschaften der Atome einen Urheber mitmenschenähnlichen Motiven anzunehmen, war nach wie vor methodologisch verboten, doch die Ähnlichkeit – und sei es eine ganz entfernte – zwischen den Absendern des Codes und seinen Empfängern war mehr als nur ein Hirngespinst, das die Gedanken beruhigte – es war vielmehr die Hypothese, auf deren schmalem Grat die Geschicke des ganzen Projekts entschieden wurden. Auch davon war ich von der ersten Minute an überzeugt gewesen, da ich den Fuß auf »MAVO«-Gelände setzte: daß es, falls keinerlei Ähnlichkeit bestand, ganz unmöglich wäre, die Sternenbotschaft zu verstehen.
    Nicht einen Moment lang glaubte ich an eine der Vermutungen über die Natur der Nachricht. Das »hinübertelegrafierte Geschöpf«, der Plan des »Großhirns«, der »Plasma-Informationsmaschine«, des synthetischen »Herrschers«, der sich die Erde untertan machen wollte – all das waren Entlehnungen aus jenem kargen Arsenal von landläufigen Konzeptionen, über das unsere technologische Zivilisation verfügt. Diese Konzeptionen waren, genauso wie die Themen der Science-Fiction-Romane, ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Lebens, und dies vor allem in seiner amerikanischen Erscheinungsform, deren Export über die Grenzen der Staaten hinaus um die Mitte des Jahrhunderts so florierte. Es war entweder modisches Larifari, oder es waren Vorstellungen, die auf dem Prinzip »Wir sie – oder sie uns« beruhten – und nie hat sich mir deutlicher offenbart, wie seicht diese Spintisierereien sind, wie sehr sie – innerhalb eines schmalen historischen Zeitraums – an die Erde gekettet sind, als damals, da ich von diesen Hypothesen hörte, die dem Anschein nach kühn, im Grunde genommen jedoch deprimierend naiv waren.
    Während einer Diskussion beim obersten Informationstheoretiker des Projekts, Doktor Mackensie, auf der es mir gelungen war, die Anwesenden vor den Kopf zu stoßen,indem ich ihnen ihre Vorstellungen zerstörte, fragte mich einer von Mackensies jüngeren Mitarbeitern, was denn das Signal nun meiner Meinung nach wäre, aus meinen energischen Dementis müsse man ja schließen, ich wüßte es.
    »Vielleicht ist es die Offenbarung«, erwiderte ich. »Die Heilige Schrift braucht nicht auf Papier gedruckt und nicht in Gold geprägt und in Leinen gebunden zu sein. Sie kann auch ein Plasma-Körper sein … zum Beispiel der des ›Froschlaichs‹.«
    Ich hatte das nicht im Ernst gesagt, aber sie, die bereit waren, ihre Unwissenheit einzutauschen – egal gegen was, wenn es nur einen Anschein von Gewißheit hatte, fingen wirklich an, über meine Worte nachzudenken. Und sogleich hatten sie

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