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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Metaphysiken entpuppten, die zwischen Besudelung und engelhafter Reinheit hin- und herpendeln. Er hatte aus dem Zickzackweg der Evolution ihre ganze Herrlichkeit und ihr ganzes Elend zutage gefördert, und er hatte demonstriert, wie Reihen von Zufällen in ihren Abweichungen zu Naturgesetzen werden. Dieses Buch setzt jedoch am meisten durch den Geist des Mitgefühls in Erstaunen, von dem es durchdrungen ist, der aber nirgendwo expressis verbis zum Ausdruck kommt.
    Ich weiß nicht, was Romney auf seine überragende Idee gebracht hatte, Fragen beantwortete er nur mit einem Knurren. Seine Gruppe befaßte sich statt mit dem auf den Bändern aufgezeichneten »Brief« mit dem »Original«, das heißt mit der unablässig vom Himmel strömenden Neutrinostrahlung selbst. Ich vermute, Romney hatte darüber nachgedacht, warum die Absender sich ausgerechnet ein Neutrinostrahlenbündel als Informationsträger auserkoren hatten. Wie schon gesagt, gibt es eine natürliche Neutrinostrahlung des Himmels, die von den Sternen kommt. Jene, die dank einer entsprechenden Modulation den»Brief« mit sich führte, stellte nur einen sehr schmalen Bereich der gesamten Strahlung dar. Romney hatte wohl überlegt, ob dieser Bereich, der dem Begriff der »Wellenlänge« in der Funktechnik entsprach, von den Absendern zufällig gewählt worden war oder ob hinter dieser Entscheidung irgendwelche besonderen Beweggründe gestanden haben mochten. Er plante also eine Reihe von Versuchen, bei denen unzählige Substanzen einmal der Wirkung der gewöhnlichen stellaren Neutrinostrahlung und einmal dem Emissionsstrahl des »Briefs« ausgesetzt werden sollten. Das konnte er, weil Baloyne in weiser Voraussicht einen tiefen Griff in den Staatssäckel getan und das Projekt mit einem Satz von Neutrinoinversoren hoher Selektivität ausgerüstet hatte. Darüber hinaus wurde die vom Himmel herabkommende Strahlung um das Hundertmillionenfache verstärkt. Die Physiker bauten die dafür erforderlichen Verstärker.
    Die Neutrinos sind die durchdringendsten unter den Elementarteilchen. Sie alle, besonders aber die niederenergetischen, können die galaktischen Räume ebenso gut durchdringen, wie sie unzählige materielle Körper, Planeten, Sterne durchdringen können, weil die Materie für sie unvergleichlich durchsichtiger ist als Glas für Licht. Recht besehen hätten die Versuche kein beachtenswertes Ergebnis bringen dürfen. Aber es sollte anders kommen.
    In Kammern, die vierzig Meter tief unter der Erde lagen – das war sehr flach für Neutrinoversuche –, standen die riesigen, an die Inversoren angeschlossenen Verstärker. Der immer stärker konzentrierte Teilchenstrahl, der aus einem Metallbolzen von der Dicke eines Bleistifts kam, traf auf die verschiedensten flüssigen, festen und gasförmigen Körper, die auf seinem Weg aufgebaut worden waren. Die erste Versuchsreihe, bei der man die unterschiedlichsten Substanzen der natürlichen Himmelsstrahlung ausgesetzt hatte, zeitigte, wie erwartet, keinerlei interessante Ergebnisse.
    Das Neutrinobündel hingegen, das den Träger des »Briefs« bildete, offenbarte eine verblüffende Eigenschaft. Von zwei Gruppen hochmolekularer Lösungen erwies sich diejenige als chemisch beständiger, die der Bestrahlung ausgesetzt worden war. Ich muß unterstreichen, daß das gewöhnliche »Neutrinorauschen« eine solche Wirkung nicht besaß. Diese hatte lediglich der durch die Information modulierte Emissionsstrahl. Es sah so aus, als wären seine Neutrinos, die alles wie ein unsichtbarer Regen durchdrangen, womöglich irgendwelche, für uns nicht erfaßbare und unbekannte Verbindungen mit den Teilchen des Kolloids eingegangen und hätten es dadurch unempfindlich gemacht gegen die Wirkung von Faktoren, die normalerweise den Zerfall ihrer großen Moleküle, ein Auftrennen und Auseinanderplatzen der chemischen Verbindung an den Nahtstellen hervorrufen. Als würde dieser Emissionsstrahl eine spezielle Art von großen Molekülen »favorisieren«, als begünstige er die Entstehung der Atomkonfigurationen, die das chemische Skelett des Lebens bilden – in einem mit spezifischen Substanzen gebührend durchsetzten wäßrigen Medium.
    Der Neutrinostrahl, mit dem der »Brief« zu uns gelangte, war nicht dicht genug, um solch einen Effekt direkt ermitteln zu können. Erst nachdem man ihn mehrere hundertmillionenmal verdichtet hatte, wurde es möglich, den Effekt zu erkennen – in Lösungen, die man wochenlang bestrahlt hatte. Doch hier

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