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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ähnlich »positiv« sein müsse. Wenn man hingegen die Hypothese von einer solchen »allumfassenden Freundlichkeit« verwarf, nach der dem »lebensfreundlichen direkten Vorgehen« der entsprechende, für die Empfänger günstige »Briefinhalt« beigefügt worden war, dann war man gewissermaßen zu der diametral entgegengesetzten Auffassung verdammt, nach welcher der Absender jener durch ihre Lebensfreundlichkeit »wohlwollenden« Botschaft auf teuflische Art Inhalte übermittelte, die die Empfänger ins Verderben stürzen konnten.
    Wenn ich sage, man »war zu einer diabolischen Interpretation verdammt«, dann nicht, weil ich dieser Meinunggewesen wäre: Ich notiere einfach nur, womit wir es tatsächlich beim Projekt zu tun hatten. Wie hartnäckig dort Hypothesen aufgestellt wurden, ist im übrigen aus allen veröffentlichten Berichten, die die Geschichte des »MAVO« erzählen, deutlich ersichtlich. Diese bipolare Hartnäckigkeit war immer da: Entweder sollte der Brief einen Akt »fürsorglichen Wohlwollens« darstellen, in welchem uns instrumentales Wissen vermittelt wurde, das unsere Zivilisation als höchstes Gut veranschlagt, oder aber einen Akt geschickt getarnter Aggression – falls das, was durch die Materialisierung des »Briefs« entstand, danach trachtete, sich die Erde, die Menschheit zu unterwerfen oder sie gar zu vernichten. Immer setzte ich mich gegen die Unbeweglichkeit der Auffassungen zur Wehr. Die Absender konnten beispielsweise vernunftbegabte Wesen sein, die eine sich ihnen bietende »energetische Gelegenheit« genutzt hatten: Irgendwann einmal hatten sie eine »biophile Strahlenemission« in Gang gebracht und hatten sich dann, als sie Verbindung mit intelligenten Bewohnern der Planeten anzuknüpfen wünschten, aus gewöhnlicher Sparsamkeit, statt besondere Sender zu bauen, der bereits funktionierenden Energiequelle bedient und dem Neutrinostrom einen bestimmten Text aufgeprägt, der mit dessen »lebensfreundlichem« Charakter gar nichts zu tun zu haben brauchte. Genauso steht ja der Inhalt eines Telegramms, das wir aufgeben, nicht eindeutig in Beziehung zu der Eigenschaft der elektromagnetischen Wellen des drahtlosen Telegrafen.
    Wenngleich dies denkbar gewesen wäre, herrschten doch bei uns nicht solche Ansichten. Es entstanden sogar höchst ausgeklügelte Hypothesen – daß der Brief zum Beispiel auf »zwei Ebenen« funktioniere. Er »verursache« zunächst Leben wie ein Gärtner, der das Samenkorn in die Erde wirft; der dann aber noch ein zweites Mal erscheint, um nachzusehen, ob die aufgehende Saat auch »richtig« ist. Der Briefsollte nun, auf seiner »zweiten« Ebene, das heißt inhaltlich, der Gartenschere entsprechen – als der Faktor, der die »degenerierten Psychozoika« beseitigt. Das hieß, daß die Absender ohne Gnade und Erbarmen alle die evolutionär entstandenen Zivilisationen vernichten wollten, die sich nicht so entwickelten, »wie es sich gehört«, also zum Beispiel »sich selbst fressende«, »destruktive« und andere Klassen. Sie überwachten sozusagen Anfang und Ende der Biogenese, Wurzeln und Krone des Evolutionsbaums. Die inhaltliche Seite des »Briefs« machte also einem bestimmten Typus von Empfänger eine Art Rasiermesser zum Geschenk, damit er sich damit selbst die Gurgel durchschnitt.
    Diese phantastische Idee wies ich von mir. Das Bild einer Zivilisation, die die »Degenerierten« oder »Unterentwickelten« auf so ungewöhnliche Weise vernichten sollte, hielt ich für eine weitere Projektion der unserer Epoche eigenen Ängste – der geheimnisvolle »Brief« als »Assoziationstest«! – und für sonst gar nichts. Der RomneyMoeller-Effekt schien zu belegen, daß der Absender eine Existenz in Form von Leben für etwas »Gutes« hielt. Aber den nächsten Schritt zu tun – auch dem »Informationshintergrund« des Codes »intentionale Güte« zuzuschreiben –, das wagte ich schon nicht mehr, ebensowenig wie ihn mit einem negativen Vorzeichen zu versehen. Die »schwarzen Einfälle« entstanden automatisch, weil ihre Urheber das, was uns mit dem »Brief« überreicht worden war, als ein Danaergeschenk betrachteten, das nur Mißtrauen verdiente: als ein Instrument, aber eines, das die Erde unterjochen, als ein Wesen, aber eines, das die Herrschaft über uns antreten wolle.
    Alle diese Vorstellungen taumelten zwischen Teuflischem und Engelhaftem hin und her wie Fliegen zwischen den Scheiben. Ich versuchte, mich in die Situation des Absenders zu versetzen. Ich würde

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