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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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nichts geschickt haben, was gegen meine Intentionen verwandt werden konnte.
    Irgendwelche Instrumente zu liefern, ohne zu wissen, wem, das war das gleiche, wie Granaten an Kinder auszuteilen. Was also hatten sie uns geschickt? Den Entwurf einer idealen Gesellschaftsordnung, mit »Bildtafeln« ausgestattet, auf denen die Energiequellen für diese Gesellschaft abgebildet waren – in Gestalt des »Herrn der Fliegen«? Aber solch ein Entwurf war ein von den eigenen Elementen, das heißt von den einzelnen Wesen, abhängiges System. Einen einzigen, der für jeden Ort und jede Zeit optimal gewesen wäre, konnte es nicht geben. Ein solcher Plan hätte auch die Individualbiologie berücksichtigen müssen – und ich mochte nicht glauben, daß der Mensch in dieser Hinsicht eine unveränderliche kosmische Größe darstellte.
    Am Anfang hatte es nicht so ausgesehen, als könnte der »Brief« eine Mitteilung sein, ein Ausschnitt aus einem »interplanetaren Gespräch«, das wir ganz zufällig belauscht hatten. Es vereinbarte sich nicht mit der Wiederholung der Sendung. Ein Gespräch besteht ja nicht darin, daß der eine Partner wieder und wieder, jahrelang, ein und dasselbe von Anfang an wiederholt. Aber auch hier kam die Zeitskala mit ins Spiel. Die Mitteilung traf in unveränderter Gestalt seit mindestens zwei Jahren auf der Erde ein, soviel stand fest. Vielleicht »unterhielten sich« automatische Apparaturen miteinander, und die Apparatur der einen Seite sendete ihre Äußerung so lange, bis sie das Stichwort erhielt, daß ihre Äußerung empfangen worden war? In diesem Falle konnten die Wiederholungen noch tausend Jahre so weitergehen, die miteinander im Gespräch stehenden Zivilisationen brauchten nur genügend weit voneinander entfernt zu sein. Wir wußten nichts darüber, ob man der »lebensfreundlichen Strahlung« nicht auch die unterschiedlichsten Inhalte aufprägen konnte, was a priori durchaus wahrscheinlich war.
    Dennoch mutete die Version vom »mitgehörten Gespräch« sehr unwahrscheinlich an. Wenn die »Fragen« vonden erhaltenen »Antworten« durch nach Jahrhunderten bemessene Zeiträume voneinander getrennt sind, dann kann man einen solchen Informationsaustausch schwerlich als »Gespräch« bezeichnen. Man müßte vielmehr erwarten, daß jede »Seite« der anderen wesentliche Informationen über sich mitteilt. Wir hätten folglich nicht nur eine, sondern mindestens zwei Sendungen empfangen müssen. Dem war aber nicht so. Der Neutrino-»Äther« war, wie die Apparaturen der Astrophysiker anzeigten, ganz und gar »leer« – mit Ausnahme jenes einen Sendebereichs. Das war vermutlich der harte Kern der rätselhaften Nuß. Die einfachste Erklärung lautete, es gäbe weder ein Gespräch noch zwei Zivilisationen, sondern nur eine, die ein isotropes Signal aussende. Wenn man das annahm, hatte man sich neuerlich über den Doppelcharakter des Signals den Kopf zu zerbrechen … Da capo al fine.
    Gewiß, der »Brief« konnte auch etwas verhältnismäßig Einfaches enthalten. Er brauchte zum Beispiel nur das Schema einer Maschine zu sein, die dazu dienen sollte, Verbindung mit den Absendern aufzunehmen. Dann war er »der Plan eines Senders«, aufgebaut aus »Elementen« vom Typ des »Froschlaichs«. Wir hatten, wie ein kleines Kind, das sich über das Schema eines Rundfunkapparates den Kopf zergrübelt, außer ein paar ganz primitiven Schräubchen nichts zusammenzusetzen vermocht. Es konnte die »Verkörperung« einer psychokosmogonischen Theorie sein, die enthüllte, wie vernunftbegabtes Leben in der Metagalaxis entsteht, wie es verteilt ist und funktioniert. Wenn man die »manichäischen« Vorurteile, jene Einflüsterungen, über Bord warf, daß der Absender uns unbedingt übel- oder wohlgesinnt sein müsse (oder übel und wohl gleichzeitig, sofern er nach seinen eigenen Kriterien intentional »gut«, nach den unserigen aber »schlecht« zu uns wäre), dann zeugte dieses Herumgerätsel immer ungehemmter Ideen vom Schlage der erwähnten und wurde zueinem Sumpf, der nicht schlechter war als jenes professionelle Schmalspurdenken, das die Empiriker des Projekts in den goldenen Käfigen ihrer sensationellen Entdeckungen gefangenhielt. Sie glaubten, zumindest manche, wenn man den »Herrn der Fliegen« untersuchte, werde man schließlich bis zum Kern des Geheimnisses der Absender gelangen – wie über den Faden zum Knäuel. Ich hielt das für eine nachträgliche Rationalisierung: Weil sie außer dem »Herrn der Fliegen« nichts

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