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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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hatten, klammerten sie sich in ihrer Forschung krampfhaft an ihn. Ich hätte ihnen recht gegeben, wenn es um ein naturwissenschaftliches Problem gegangen wäre, doch vor uns lag ein anderes; aus der chemischen Analyse der Tinte, mit der ein Brief an uns geschrieben wurde, lassen sich niemals Rückschlüsse auf die geistigen Eigenschaften des Schreibers ziehen.
    Vielleicht hätte man bescheidener vorgehen und den Intentionen der Absender durch schrittweise Annäherung auf die Spur kommen sollen? Doch dabei tauchte wieder die brennende Frage auf, warum sie eine für vernunftbegabte Empfänger bestimmte Mitteilung mit biophiler Wirkung gekoppelt hatten.
    Auf den ersten Blick erschien das ungewöhnlich, ja sogar unheimlich. Zuerst einmal: Die allgemeinen Überlegungen ließen vermuten, daß die Zivilisation der Absender geradezu unglaublich alt sein müsse. Die Emission des Signals erforderte, wie wir näherungsweise berechnet hatten, eine Leistung, die mindestens der von der Sonne erzeugten gleichkam. Eine derartige Ausgabe kann nicht einmal einer Gesellschaft, die über eine hochentwickelte Astroingenieurwissenschaft verfügt, gleichgültig sein. Die Absender mußten also in der Überzeugung gehandelt haben, daß eine solche »Investition« zwar nicht für sie, aber hinsichtlich ihrer realen biophilen Wirksamkeit rentabel sei. Doch Planeten, auf denen Bedingungen herrschen, die den irdischen von vor vier Milliarden Jahren entsprechen, gibt es zur Zeitin der gesamten Metagalaxis relativ wenige. Sogar sehr wenige. Denn die Metagalaxis ist ein mehr als reifer Sternen- oder Nebelorganismus. In etwa einer Milliarde Jahren wird sie anfangen, »auf das Alter zuzugehen«. Ihre Jugendzeit, die Zeit der üppigen und stürmischen Planetogenese, hat sie längst hinter sich. Eben aus ihr war unter anderem die Erde entsprungen. Die Absender mußten das wissen. Nicht seit Tausenden, ja nicht einmal seit Millionen von Jahren sendeten sie folglich das Signal. Ich befürchtete – das Gefühl, von dem diese Gedanken begleitet waren, läßt sich schwerlich anders bezeichnen –, ich befürchtete, daß sie das seit einer Milliarde von Jahren taten! Und wenn das so war (das Problem, daß wir uns nicht andeutungsweise vorstellen konnten, in was für ein Gebilde sich eine Gesellschaft nach einer so entsetzlich langen geologischen Zeit eigentlich verwandelt, einmal ausgeklammert), dann erwies sich die Antwort auf die Frage nach der Ursache der »Zweiseitigkeit« des Signals als ziemlich simpel, wenn nicht banal. Sie konnten seit allerfrühester Zeit diesen »lebenspendenden Faktor« ausgestrahlt haben, und als sie sich entschlossen hatten, sich der interplanetaren Kommunikation zuzuwenden, hatten sie, statt besondere Technologien und Sender dafür bauen zu müssen, nur das Strahlungsbündel auszunutzen brauchen, das bereits in den Kosmos drang. Es genügte, den Strahl dementsprechend zusätzlich zu modulieren. Sie hatten uns also einfach aus simpler technischer Sparsamkeit das Rätsel aufgegeben? Die technischen und informationstheoretischen Probleme, die ein Modulationsprogramm mit sich brachte, mußten doch haarsträubend sein – gewiß, für uns waren sie das, aber für sie? Hier verlor ich wieder den Boden unter den Füßen. Die Experimente aber gingen weiter: Mit unzähligen Methoden wurde versucht, die »Informationsfraktion« des Signals von der »biophilen« zu trennen, was mißlang. Wir waren ratlos, aber wir warfen die Flinte noch nicht ins Korn.

IX
    Ende August fühlte ich mich geistig derart ausgelaugt wie wohl noch nie. Das schöpferische Potential, die Fähigkeit eines Menschen, schwierige Probleme anzugehen, verändert sich im steten Wechsel »von Flut und Ebbe«, den man selbst nur schwer durchschaut. Ich habe gelernt, dabei eine Art Test anzuwenden: Ich lese meine eigenen Arbeiten, diejenigen, die ich für meine besten halte. Wenn ich darin Schnitzer, Lücken entdecke, wenn mir aufgeht, daß man die Sache hätte besser anpacken können, ist die Probe günstig ausgefallen. Wenn ich hingegen meinen eigenen Text nicht ohne Bewunderung lese, weiß ich: Es ist nicht gut um mich bestellt. Und genau das passierte gegen Sommerausgang. Ich brauchte – auch das wußte ich aus langjähriger Praxis – Zerstreuung und nicht Erholung. Ich schaute also immer öfter bei meinem Nachbarn, Dr. Rappaport, herein und unterhielt mich manchmal stundenlang mit ihm. Über den »Sternencode« selbst sprachen wir selten und nicht sehr ausgiebig.

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