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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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würde man den Bevölkerungszuwachs stoppen können. Ein planvoller Eingriff in den Bereich der Familie sei unerläßlich. Es gehe nicht darum, daß sich jeder Plan dieser Art entweder makaber oder grotesk anhöre, wie zum Beispiel der Vorschlag, daß man die »Kindererlaubnis« erst erlangen könne, nachdemman eine bestimmte Punktzahl für psychophysische Vorzüge, für erzieherische Fähigkeiten und so weiter gesammelt habe.
    Derlei mehr oder weniger rationale Programme mochte man sich einfallen lassen, aber man könne sie nicht in die Tat umsetzen. Die Sache liefe am Ende immer auf eine Beschneidung jener Freiheiten hinaus, die sich, seit der Entstehung der Zivilisationen, kein System anzutasten gewagt habe. Keines der heutigen Systeme besitze dazu die nötige Macht oder Autorität. Man müßte ja auch gegen den mächtigsten aller menschlichen Triebe antreten und gegen die Mehrzahl der Kirchen und gegen die Grundlagen der Menschenrechte, die uns durch die Tradition gegeben sind. Nach einer Atomkatastrophe hingegen würde eine strenge Reglementierung der Ehen und Geburten unaufschiebbar und vital notwendig werden, weil sonst das infolge der Strahlung entartete Erbgut ein Ausschwärmen zahlloser Ungeheuer in Gang setze. Eine solche ad hoc eingeführte Reglementierung könnte dann in ein Gesetzwerk münden, das die Vermehrung der Gattung lenkte – als eine Art Steuerung ihrer Evolution und ihrer Menge. Der Atomkrieg sei gewiß ein gräßliches Übel, doch seine weiteren Konsequenzen könnten sich als gut, als heilsam erweisen.
    In diesem Sinne hatte sich ein Teil der Gelehrten geäußert, andere hatten widersprochen, und zur Formulierung eindeutiger Empfehlungen war es nicht gekommen.
    Diese Geschichte empörte Rappaport, je mehr er sich aber ereiferte, um so kühler, leise lächelnd, antwortete ihm Dill.
    »Die Vernunft als Herrscher auf den Thron zu setzen«, sagte Rappaport, »heißt soviel, wie sich dem Wahnsinn der Logik in die Hände geben. Die Freude des Vaters darüber, daß ihm sein Kind ähnlich sieht, besitzt keinerlei rationalen Wert, zumal wenn der Vater ein unbegabter Dutzendmensch ist – ergo –, man muß ›Banken‹ für das Sperma der sozial nützlichsten Menschen schaffen und durch künstliche Befruchtung Kinder erzeugen, die diesen Zuchtmenschen ähneln, also wertvoll sind. Das Risiko, das mit der Gründung einer Familie einhergeht, kann man als gesellschaftlich unnütze Anstrengung betrachten, ergo – man muß bei der Zusammenführung von Paaren nach Auslesekriterien vorgehen, die eine positive Korrelation der physischen und psychischen Eigenschaften der Ehepartner berücksichtigen. Unbefriedigte Begierden lösen Frustrationen aus, die den gleichmäßigen Gang der gesellschaftlichen Prozesse beeinträchtigen, ergo – man muß sämtliche Begierden entweder auf natürliche Weise oder durch technische Äquivalente befriedigen oder schließlich chemisch oder chirurgisch die Zentren dieser Begierden ausschalten.
    Vor zwanzig Jahren dauerte eine Reise aus Europa in die Staaten sieben Stunden. Durch den Aufwand von achtzehn Milliarden Dollar wurde diese Zeit auf fünfzig Minuten verkürzt. Es steht bereits fest, daß sich mittels weiterer Milliarden auch diese Flugzeit um die Hälfte verkürzen läßt. Der Gast, sterilisiert an Leib und Seele – damit er weder die asiatische Grippe noch asiatisches Gedankengut bei uns einschleppt –, vollgestopft mit Vitaminen und Filmen aus der Konserve, wird von Stadt zu Stadt reisen können, von Kontinent zu Kontinent und von Planet zu Planet – immer sicherer und schneller, und die Vision von einer derart phänomenalen Leistungsfähigkeit der betreuenden Instrumente soll uns den Mund stopfen, damit wir nicht mehr fragen können, wozu diese Blitzreisen gut sein sollen. Einem solchen Tempo war unser alter, tierischer Körper nicht gewachsen, der allzu rasche Wechsel von einer Halbkugel zur anderen zerrüttet seinen Schlaf-undWach-Rhythmus, doch glücklicherweise wurde ein chemisches Mittel erfunden, das diese Zerrüttung beseitigt. Allerdings zieht dieses Mittel manchmal Depressionen nachsich, aber es gibt ja andere, die die Stimmung heben. Sie lösen Krankheiten der Herzkranzgefäße aus, aber dagegen gibt es Polyäthylenröhrchen, die man in die Herzarterien einführen kann, damit sie nicht verstopfen.
    Der Wissenschaftler benimmt sich in solchen Situationen wie ein dressierter Elefant, den der Treiber mit der Stirn zum Hindernis postiert. Er bedient sich

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