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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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kund und durfte weitergehen.
    Die eigentlichen Prozesse der Synthese liefen in den unterirdischen Räumen des Gebäudes ab, unter der Aufsicht von Rechenautomaten, in Behältern, die von zylindrischen Isolationshüllen umgeben waren, weil in gewissen Phasen vorübergehend durchdringende Korpuskularstrahlungen entstanden, die jedoch aufhörten, wenn die Synthese ihrem Ende zuging. Die Hauptsynthesehalle hatte eine Fläche von viertausend Quadratmetern. Der weitere Weg führte von dort in den sogenannten Silberteil der unterirdischen Gewölbe, wo, wie in einer Schatzkammer, die von den Sternen diktierte Substanz ruhte. Dort gab es einen runden Raum oder vielmehr eine fensterlose Kammer mit Wänden aus spiegelblank poliertem Silber. Ich wußte einmal, wozu das notwendig war, aber es ist mir inzwischen entfallen. Überflutet vom kalten Glanz der Lichtröhren, auf einem massiven Postament, stand ein Glasbassin, einem gewaltigen Aquarium vergleichbar, beinahe leer – nur der Grund war von einer Schicht einer stark phosphoreszierenden, unbeweglichen, bläulichen Flüssigkeit bedeckt.
    Der Raum wurde von einer Glasplatte in zwei Hälften geteilt: darin klaffte dem Behälter gegenüber eine Öffnung, mit einem von einer dicken Einfassung umrandeten fernzusteuernden Manipulator. Marsh ließ zuerst die Spitze der Schere, die einem chirurgischen Instrument ähnelte, bis zur Oberfläche der Flüssigkeit hinunter, und als er sie wieder hob, hing an ihrem Ende ein im Licht funkelnder Faden, der nichts von einer klebrigen Flüssigkeit an sich hatte. Essah so aus, als hätte die kleistrige Flüssigkeit eine elastische, aber ziemlich feste Faser abgesondert, die träge hin- und herschwang wie eine Saite. Als er den Manipulator wieder senkte und ihn geschickt schüttelte, so daß die Faser abfiel, nahm die Oberfläche der in den Lichtreflexen funkelnden Flüssigkeit sie nicht an. Die Faser krümmte sich, wurde dicker und kroch, in eine Art glitzernde Larve verwandelt, mit wurmähnlichen Bewegungen regelrecht wie eine Raupe vorwärts, bis sie das Glas berührte. Da hielt sie inne und machte kehrt. Diese Kriechtour dauerte etwa eine Minute, dann begann das sonderbare Gebilde zu verschwimmen, verlor sozusagen die Konturen und kehrte, eingesaugt, in den »Mutterkuchen« zurück.
    Jener »Raupentrick« war ein Kunststückchen, das nicht viel besagte. Als man die Lichter löschte und den Versuch im Dunkeln wiederholte, sah ich plötzlich einen sehr schwachen, aber deutlichen Blitz, als hätte zwischen Boden und Decke des Behälters für den Bruchteil von Sekunden ein Sternchen aufgeleuchtet. Marsh sagte mir hinterher, es handele sich nicht um Luminiszenz. Kurz bevor der Faden auseinanderreiße, bilde sich an der betreffenden Stelle eine feine monomolekulare Schicht, die nicht mehr imstande sei, die Kernprozesse unter Kontrolle zu halten, und dann entstehe etwas wie eine winzige Kettenreaktion – der Blitz aber sei ein sekundärer Effekt, weil die angeregten, auf höhere Energieniveaus gebrachten Elektronen wieder in den Grundzustand zurücksprängen und dabei eine entsprechende Zahl von Photonen aussendeten. Ich fragte, ob sie eine Chance sähen, den »Froschlaich« praktisch zu nutzen. Ihre Hoffnung war inzwischen geringer als kurz nach der Synthese, denn der »Froschlaich« benahm sich wie ein lebendes Gewebe, und auch er ließ sich – ähnlich wie jenes die Energie der chemischen Reaktionen ausschließlich für sich verbraucht – seine Kernenergie nicht wegnehmen.
    In der Gruppe von Grotius, die den »Herrn der Fliegen«
    hergestellt hatte, herrschten sichtlich andere Sitten. Dort stieg man unter Beachtung außergewöhnlicher Vorsichtsmaßnahmen in die Tiefe. Ich weiß wirklich nicht, ob man den »Herrn der Fliegen« zwei Stockwerke unter die Erdoberfläche verfrachtet hatte, weil er so hieß, oder ob man ihn so getauft hatte, weil er in unterirdischen Räumen entstanden war, die an den Hades denken ließen.
    Zuerst, noch im Laboratorium, hatte man in einen Schutzanzug, einen großen durchsichtigen Overall mit Kapuze und Hosenträgern zu klettern, an denen ein Sauerstoffbehälter befestigt war. Das machte einige Umstände, die bei aller Sachlichkeit doch etwas Ritualhaftes hatten. Soviel ich weiß, ist das Verhalten von Wissenschaftlern in einem Labor noch nie unter anthropologischen Gesichtspunkten untersucht worden, obwohl es für mich außer Frage steht, daß nicht alles, was sie tun, auch wirklich notwendig ist. Man kann die

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