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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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gleichen Vorkehrungen und Verrichtungen beim Experimentieren sehr verschieden ausführen, aber wenn sich ein bestimmter Ablauf erst einmal fixiert hat, wird er in einem gegebenen Kreis, in einer gegebenen Schule zum ungeschriebenen Gesetz, ja fast zum Dogma.
    Zum »Herrn der Fliegen« stieg ich in Begleitung zweier Männer hinab – unser Führer war der kleine Grotius. Bevor wir uns auf den Weg machten, pumpte man uns, nach Manipulationen an den Ventilknöpfen, allerdings erst noch Sauerstoff in unsere durchsichtigen Anzüge, so daß jeder von uns sich in einen glitzernden Ballon verwandelte, in dessen Mitte, wie der Kern in der Frucht, ein Mensch steckte. Ehe wir den Raum verließen, wurde noch einmal nachgeprüft, ob unsere Kleidung auch dicht sei; dazu führte man einfach die Flamme einer Kerze an den einzelnen Teilen des Anzugs entlang, in dem ein geringer Überdruck herrschte: Diese Prozedur erinnerte an eine magische Handlung, an eine Beweihräucherung beispielsweise.
    Das alles zusammengenommen fügte sich zu einem ernsten, feierlichen, wie rituell verlangsamten Ganzen, wohl deshalb, weil man sich in dem besagten glänzenden Polyäthylenballon nicht schnell bewegen konnte. Außerdem konnte man, in dieser Hülle steckend, nicht eben gut miteinander reden, und so machte mir auch die Verständigung durch Zeichen zunehmend mehr den Eindruck, als nähme ich an liturgischen Handlungen teil. Natürlich kann man meine Einwände zurückweisen und erwidern, der Anzug habe uns vor der Beta-Strahlung geschützt, er habe zwar die Bewegung behindert, doch zugleich eine gute Sicht ermöglicht und so weiter. Aber ich hätte mir, wie ich meine, ohne große Anstrengung auch eine andere Prozedur ausdenken können, die freilich weniger malerisch und vor allem frei von jenem Hauch diskreter Anspielungen auf den symbolischen Sinn des Namens »Herr der Fliegen« gewesen wäre.
    In einem separaten Raum mit Betonfußboden befand sich ein senkrechter Schacht, von einer Art Verschalung umgeben. Wir stiegen nacheinander die in seine Wand eingelassene Eisenleiter hinunter, mit unangenehm knisternden Overalls, in der lästigen Hitze, die im Innern unserer an eine Fischblase erinnernden Montur herrschte. Unten lief, ein bißchen wie in einer alten Grube, ein schmaler Steg, den drahtumflochtene Lämpchen in regelmäßigen Abständen beleuchteten. Diese Accessoires gingen nicht mehr auf das Konto von Grotius’ Leuten, was ich loyal vermelde. Die Gruppe hatte einfach einen unterirdischen Teil des Gebäudes benutzt, der seinerzeit für militantere – weil mit den thermonuklearen Explosionen der Testanlage im Zusammenhang stehende – Zwecke vorgesehen gewesen war. Einige Dutzend Meter weiter vor uns fingen die Wände plötzlich an zu glänzen, weil sie mit spiegelndem Silberblech verkleidet waren. Diese Silberwände waren das einzige Detail, das bei Biochemikern und Biophysikernübereinstimmte. Doch nahm man es eigentlich nicht wahr, ähnlich wie einem die erotische Seite der Nacktheit im Sprechzimmer eines Arztes entgeht. Unsere Wahrnehmung wird von der Gesamtheit eines entstehenden Effekts gelenkt und nicht von den Eigenschaften der einzelnen Elemente. Das Silber an den Wänden bei den Biophysikern brachte man mit der Sterilität eines chirurgischen Kabinetts in Verbindung, und unter der Erde bekam es etwas noch Geheimnisvolleres, da es wie in einem Panoptikum die verzerrten Spiegelbilder unserer blasenförmigen Gestalten zurückwarf.
    Ich hielt vergeblich Ausschau, wohin uns der Weg weiter führen werde – der Gang mündete seitlich in eine etwas breiter werdende Sackgasse. In Kopfhöhe war eine kleine Eisentür zu sehen, die Grotius aufschloß. Da tat sich in der dicken Mauer eine Nische auf, eine Art Schießscharte, und meine beiden Begleiter traten zurück, damit ich besser hineinschauen konnte. Den Hintergrund der Öffnung bildete eine rötlich glänzende Fläche, es sah aus wie ein Stück Fleisch, das fest gegen eine dicke Glasscheibe gepreßt wird. Durch die Kapuze, die mein Gesicht verhüllte, durch den gleichmäßigen Luftstrom des Sauerstoffs hindurch, der aus der Flasche drang, spürte ich plötzlich auf der Haut von Stirn und Wangen einen Druck, der nicht von der Hitze ausgelöst zu sein schien. Als ich länger hinsah, bemerkte ich eine langsame, nicht ganz gleichmäßige Bewegung, wie von der enthäuteten und ans Glas geklebten Unterseite einer riesenhaften Schnecke, die durch vergebliche Muskelkontraktionen zu kriechen

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