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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Bruder Gregory und zerknüllte unwirsch den Brief. Jetzt würde er über Weihnachten nach Haus gehen müssen und es absolut kristallklar machen, daß er der Welt entsagen wollte. Ein Jammer, daß er Gott noch nicht gesehen hatte – es wäre zu schön, wenn er Vater das entgegenhalten könnte. Und wie er dabei dann ganz von einem undeutbaren Leuchten durchdrungen wäre und der alte Mann endlich einsehen müßte, daß er keinen Anspruch mehr auf seinen Sohn hatte. Aber daran war jetzt nicht mehr zu denken – in der Aura ständiger Gereiztheit, die seinen Vater umgab, sah wirklich kein Mensch Gott; und so hieß es, die eigenen Pläne zurückzustellen, bis er sich mit Vater auseinandergesetzt hatte. Und es hieß auch baldigen Abschied von der Stadt. Er mußte Margaret sagen, daß dies sein letzter Besuch im hohen Haus in der Thames Street war, und sie würde Schereien machen, weil ihr Buch noch nicht fettig war.
    »Es geht auf dieser Welt eben nicht gerecht zu«, knurrte Bruder Gregory.

    Als man ihn an jenem Nachmittag zu Margaret führte, daß er für sie schriebe, da bemerkte sie, daß er mit seinen Gedanken woanders war. Er blickte sich im Zimmer um, als ob er versuchte, sich alles einzuprägen, dann zog er die Brauen zusammen und sah aus, als ob er etwas sagen wollte, was ihm schwerfiel. Doch er kam nie damit heraus. Stattdessen beschäftigte er sich mit Federanspitzen und übereifrigem Wegwischen der kleinen Schnipsel, ehe er das Papier zurechtlegte.

    Daß es Frühling wird, merken wir Wehmütter in der Stadt an anderen Anzeichen als die Leute auf dem Lande. Zum einen gehen die Geschäfte besser, denn alles, was weiblich ist, bekommt Nachwuchs. Noch ehe die ersten Knospen sprossen, hatte allein schon in unserem Haus die Katze am Herd gejungt und die alte Moll ein Fohlen bekommen. Hilde und ich waren ständig in der Stadt unterwegs, so daß sich am Ende Bruder Malachi über das Essen beschwerte, denn wie er sagte: »Gekaufte Gerichte stärken das Herz längst nicht so wie zuhause Gekochtes.« Das zweite Anzeichen sieht so aus: die Menschen, welche den ganzen Winter im Haus eingesperrt waren, drehen schier durch bei der Vorstellung, wieder im Freien sein zu können.
    Als erster verfiel Bruder Malachi dem Frühlingswahn. Er verkündete, das Geheimnis, welches sich ihm den ganzen Winter über entzogen hätte, könne auch ruhig noch ein, zwei Monate warten, während er Geld verdiente.
    »Es ist eine Schande, sich von Frauen aushalten zu lassen«, sagte er, während er sich im jetzt stillgelegten Stinkezimmer über Pergamenten abmühte. Selbst Sim hatte Frühlingsfieber; er blies den Blasebalg nicht mehr, sondern strolchte umher und verweigerte alle Botengänge, nur um sich auf der Straße herumtreiben zu können.
    »Was um Himmels willen tut Ihr da?« fragte ich, als Bruder Malachi Wachs erhitzte.
    »Ich bereite mich einmal wieder auf die Wanderschaft vor, Kind. Ich glaube, dieses Mal ziehe ich gen Norden: Boston, King's Lynn, York. Dort habe ich mich ein Weilchen nicht blicken lassen. Dieses Geschäft kann ich in London nicht mehr betreiben, ich bin zu berühmt.«
    »Dann wollt Ihr dort also auch Eure alchimistischen Geräte verkaufen?«
    »Nein, du Dummchen, mit denen reist es sich nicht gut, gar nicht gut. Das hier jedoch ist leicht.« Sein altes Bündel lag auf dem Boden ausgebreitet, und er schien genau zu überlegen, was wohl alles hineinpaßte.
    »Was ist das, das ganze Geschreibsel?« Ich meinte es zu wissen, doch da ich nicht lesen konnte, mußte ich nachfragen.
    »Meine Liebe, kannst du schweigen?«
    »Wie ein Grab. Das gehört nämlich zu meinem Beruf.« Es gefiel mir sehr, daß ich jetzt eine erfolgreiche Wehmutter war. Mittlerweile kannte ich viele Geheimnisse, denn als Wehmutter ist man beinahe ein Beichtvater. Wir bekommen aber auch allerhand zu sehen: welches Kind dem Vater nicht ähnlich sieht, wer abgetrieben hat, wer sich ein Kind durch Zauberei verschafft hat – und was dergleichen mehr ist.
    »Gut, kleine Geschäftsfrau, unter uns Könnern sei dir verraten, woraus meine Ware besteht. Siehst du dieses hübsche Ding hier?« Er hielt mir ein Metallsiegel hin, darauf war ein Mann mit hohem Hut gleichsam wie ein Ei und noch etliches mehr zu sehen.
    »Wer ist das wohl, was meinst du?«
    »Ein großer König«, erwiderte ich.
    »Der größte. Der Papst leibhaftig. Das da ist das päpstliche Siegel.« Er hielt es hoch, daß ich es im Licht bewundern konnte.
    »Wirklich und wahrhaftig? Darf ich es

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