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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ihr geträumt habt?«
    »Ich glaube, zuerst habe ich von ihr geträumt, dann habe ich sie mit eigenen Augen in der Dunkelheit gesehen. Aber ich war sehr durcheinander. Ich war schwanger und allein im Haus eines bösen Menschen. Es kann mithin das eine wie auch das andere gewesen sein.« Margaret hörte sich nachdenklich an.
    »Das ist mir noch nicht klar genug gedacht, so kommt man nie zu einer präzisen Analyse Eurer Vision und ihrer Bedeutung.« Bruder Gregory wirkte sehr selbstsicher. Schließlich kam ihm in diesen Dingen seine berufliche Ausbildung zupaß.
    »Das ist mir zu kompliziert, da komme ich nicht mehr mit.« Margaret sah verwirrt aus. »Woher soll denn ich wissen, was wirklich war und was eine Wahnvorstellung? Oder die Wahnvorstellung einer Wahnvorstellung?«
    »O, eine harte Nuß. Wenn Ihr damals Weihwasser zur Hand gehabt hättet – nein, wartet, mir kommt da eine Idee. Ist Euch an Lewis Smalls Nasenlöchern etwas aufgefallen?«
    »Seinen Nasenlöchern?«
    »Teufel können jede beliebige menschliche Gestalt annehmen, wie Geisterbeschwörer sehr wohl wissen. Aber stets haben sie nur ein Nasenloch. Darin unterscheiden sie sich vom Menschen. Und wenn ein Sterblicher in dieses Nasenloch hineinblickt, sieht er geradewegs in das Hirn des Dämons hinein, welches nichts anderes als das leibhaftige Höllenfeuer ist. Kein Mensch kann das sehen, ohne darüber den Verstand zu verlieren, und seine Seele ist auf ewig verdammt. Natürlich wollen diese Dämonen die Leute dazu zu bringen, daß sie ihnen ins Nasenloch blicken, doch wer ihre Tricks kennt, hütet sich.«
    »Ich kann mich nicht entsinnen, seine Nasenlöcher angesehen zu haben, aber ich glaube, er hatte zwei.« Margaret legte beim Nachdenken das Kinn auf die geballte Hand.
    »Seid Ihr sicher? Vielleicht hat Gott Euch eine solche Abneigung gegen ihn eingeflößt, daß Ihr euch gehütet habt, seine Nasenlöcher zu eingehend zu mustern.«
    »Das könnte sein, denn ich habe ihm nicht gern ins Gesicht geblickt und fast immer die Augen abgewandt. Das wäre aber sehr nett von Gott gewesen, denn damals habe ich mir Sorgen gemacht, ob ich mit meiner Abneigung gegen das Sakrament der Ehe verstoße. Doch wenn Gott das getan hat, dann war es richtig so. Vielleicht besaß er ja tatsächlich nur ein Nasenloch, und ich habe mir das nur nicht genau angeschaut. Im Nachhinein weiß ich es wirklich nicht zu sagen.«
    »Ihr habt jedenfalls viel Glück gehabt, denn auch ein Mensch, der sich dem Teufel verschrieben hat, kann viele Seelen stehlen. Man denke nur, wie er seine erste Frau in den Selbstmord getrieben hat. Ihre Seele ist gewißlich verdammt, wie alle Großen Meister uns sagen, und der Teufel hat Small dafür bezahlt.«
    »Aber, Bruder Gregory, ich glaube ganz fest an die gnädige Fürbitte der Muttergottes. Ihr etwa nicht? Was das Mädchen getan hat, ist das geringere Übel gewesen.«
    Bruder Gregory blickte Margaret ins ernste Gesicht. Ihm fielen mehrere, sehr interessante theologische Argumente ein. Doch da er damit nur Perlen vor die Säue warf, schwieg er.

Kapitel 4
    A m folgenden Donnerstag erhob sich Bruder Gregory frühzeitig, besuchte die Messe und machte sich auf den langen Weg zu Master Kendalls Haus in der City von London, denn er selber wohnte draußen vor den Toren von Aldersgate. Der eher feuchte Frühlingsmorgen versetzte ihn in eine interessante, zwiegeteilte Bewußtseinslage. Sein Hirn überlegte, wie er seine Gottsuche am besten fördern könne, während sein Magen angenehm mit dem Frühstück beschäftigt war, das man wahrscheinlich genau in diesem Augenblick für ihn beiseite stellte. Seine Füße kannten den Weg von den Mietshäusern in den Hintergassen jenseits der Stadtmauern durch Aldersgate hindurch und am Fluß entlang von ganz allein, und so brauchte er daran keinen Gedanken mehr zu verschwenden.
    Womöglich, dachte das Hirn, wäre es jetzt, da man auf ein wenig mehr Geld hoffen konnte, klüger, keinen Bettplatz mehr zu mieten, sondern eine eigene Behausung. Wecken, dachte der Magen. Diese luftigen, hellbraunen, die man sonst nirgendwo bekommt. Die Kontemplation, dachte sein Hirn, wird einem besonders erschwert, wenn man mit drei oder mehr zusammengewürfelten Fremden das Bett teilt. Mochten sie auch Schreiber sein, so doch nicht unbedingt auch Sucher, und Spott kann die geistlichen Exerzitien beinahe ebenso zunichte machen, wie Geschnarche und Gewälze von anderen Menschen einem den Schlaf rauben kann. Ein nettes Zimmerchen, und er konnte

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