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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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uns eine leise Stimme aus dem Dunkel an. Ich drehte mich um, und Hilde kam zurück. Dort im Schatten stand eine tief verschleierte Frau, von der nur die Augen zu sehen waren. Als ich versuchte, ihre Gestalt in der Dunkelheit auszumachen, merkte ich, daß sie hochschwanger war.
    »Du da! Du weise Frau!«
    »Wer ist da?« fragte ich.
    »Ich. Ich, Belotte«, kam es leise mit eigenartig lispelnder Stimme.
    »Was willst du von uns?«
    »Ich brauche etwas. Ich zahle gut.«
    »Und was genau ist das?« fiel ihr Hilde, die sich inzwischen bei mir eingefunden hatte, ins Wort.
    »Ich brauche eine weise Frau, die mich von diesem Kind befreit.«
    »Ich verhelfe zum Leben, aber ich nehme es nicht«, antwortete Hilde.
    »Seid nicht so hochfahrend zu mir. Ich weiß, daß Ihr Eure Mittelchen habt. Mit Kräutern oder Zaubersprüchen könnt Ihr es vielleicht loswerden. Ich habe Geld, echtes Gold.«
    »Was würde dir das schon nutzen?«
    »Ich hab es selber versucht, aber nichts hat geholfen. Wegen des Balges verdiene ich nichts mehr. Versteht Ihr denn nicht?«
    »O doch, doch«, sagte Hilde kopfschüttelnd und nachdenklich. »Aber deine Zeit ist schon so nahe herangekommen, daß jeder Versuch, das Kind gewaltsam zu holen, dich das Leben kosten könnte.«
    »Als ob mir daran etwas liegt«, zischte die Stimme schroff. »Hab ich mir nicht tausendmal jeden Tag den Tod gewünscht? Ich will gern alles aufs Spiel setzen und Euch auch im voraus bezahlen.«
    Aus einer Unkenntnis heraus, für die ich mich bis auf den heutigen Tag schäme, unterbrach ich sie.
    »Wenn du ein Leben in Sünde geführt hast, dann ist immer noch Zeit zu bereuen und sich zu bessern. Gott vergibt dem reuigen Sünder. Du kannst doch ein neues Leben beginnen.«
    »Du kleiner Tugendbold«, sagte die Frau bitter. »Spar dir dein albernes, frommes Gewäsch.« Und damit schlug sie den dichten Schleier zurück, der die untere Hälfte ihres Gesichtes verhüllte. »Sieh dir das an, und komm du mir noch einmal mit einem neuen Leben!«
    Ein unbeschreiblich gräßlicher Anblick bot sich mir. Belottes Oberzähne begannen wie bei einem Totenschädel in einer Masse fahlen Narbengewebes direkt unter der Nase. Sie hatte überhaupt keine Oberlippe mehr! Der seltsame Sprachfehler, der Schleier, jetzt war mir alles klar. Hilde tat nicht im mindesten erstaunt.
    »Das sieht mir noch nicht sehr alt aus«, sagte sie ruhig. »Wann ist das passiert?«
    »Vor gar nicht so langer Zeit, noch nicht mal ein Jahr her«, antwortete Belotte. »Ich bin mit ein paar Bogenschützen aus Sussex gekommen, während der König zu Besuch war. Meine Geschäfte gingen gut, bis so ein Scheißkerl mich verraten hat. Da saßen sie dann alle über mich Gericht, so als ob sie mich noch nie gesehen hätten! Und diese eingebildete Frau mit ihrem Beichtvater da, der fielen vor Vergnügen schier die Augen aus dem Kopf, als ihr Ehemann, dieses alte Ungeheuer, mich verurteilte. Der Teufel hole sie alle! Und als sie mir das da angetan hatten, da brachte es dieser verfluchte Teufel auch noch fertig, für meine Besserung zu beten. ›Geh, sündhaftes Weib‹ –« und hier ahmte sie Vater Denys' affektierten Akzent nach, »›und wisse, daß wir dir das Leben geschenkt haben, damit du Buße tun kannst‹. Der widerliche Heuchler, der! Wer will denn noch eine Frau ohne Gesicht?« Ihre Augen glitzerten im Dämmerlicht. »Aber mein Schatzkästlein, das haben sie mir nicht kaputtgemacht«, setzte sie bitter hinzu, »bloß mit dem Preis, mit dem mußte ich heruntergehen.« Sie klopfte sich unter ihrem riesigen Bauch auf den Leib. »Und jetzt wächst da von irgendjemand ein kleines Ungeheuer heran und will sich nicht vertreiben lassen.«
    Mutter Hilde hatte, während sie redete, abschätzend ihre Figur gemustert und ihr still und betrübt zugehört. Als die Unselige geendet hatte, streckte sie die Hand aus und befühlte ihren Leib.
    »Ja, ja«, sagte sie mitfühlend, »vertrieben wird es wohl nun bald, denn es hat sich schon gesenkt. Noch ein paar Tage, mehr nicht.«
    »Ein paar Tage«, schrie Belotte außer sich. »Wenn du mir nicht hilfst, erwürge ich es!« Mir schien, die Sorgenfalten auf Mutter Hildes Gesicht waren zu Schluchten geworden. Sie antwortete sehr langsam, und es war, als ob ihre Stimme vor Traurigkeit tiefer klang:
    »Du sagst da etwas ganz, ganz Schlimmes zu einer Frau, die alles verloren hat. Ich weiß, aus dir spricht nur dein bitteres Schicksal, das macht dich so unbedacht. Wenn ich dir doch nur klarmachen

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