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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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weil niemand von der Existenz dieser Orte weiß.
    »Woher wißt ihr, daß es hier einen Dachboden gibt?«
    »Stell keine Fragen.«
    »Und woher weiß ich, daß du mir die Wahrheit sagst? Und wenn du ein Agent von Valentí Targa bist?«
    »Heute nacht wird in Sort was passieren. Das ist der Beweis dafür, daß ich nicht lüge.«
    »Was wird passieren?«
    »Hast du von der Brücke bei Isil gehört, die wir im Herbst in die Luft gejagt haben?«
    »Ja. Das warst du?«
    »Kennst du die Brücke auf dem Weg nach Rialb?«
    »In Sort, ja.«
    »Bumm.«
    »Aha.«
    »Reg dich ordentlich auf, wenn du morgen die Bescherung siehst. Targa muß dir voll und ganz vertrauen. Er soll dich lieben wie ein Bruder, wie ein warmer Bruder, wenn nötig. Das wichtigste ist, daß er dir Sachen erzählt. Bis wir ihn kaltmachen. Das bist du uns schuldig.«
    »Ich kann es wieder versuchen.«
    »Du bleibst fein still und behältst ihn im Auge.« Er schwieg einen Augenblick, dann beharrte er: »Und du ziehst ihm alleInformationen aus der Nase, die du bekommen kannst, solange er noch lebt.«
    Das schwierigste, meine Tochter, ist nicht, sein Leben zu riskieren:Wenn du weißt, daß dir nichts Schlimmeres passieren kann, als es zu verlieren, tritt die Angst, die nie ganz verschwindet, in den Hintergrund. Etwas Ähnliches hatte mir Deine Mutter gesagt, kurz bevor sie mich verließ. Ein paar Tage lang war ich vom Stolz auf meine eigene innere Wahrheit erfüllt: Ich hörte allmählich auf, ein Feigling zu sein. Das Schwierigste ist nicht, sein Leben zu riskieren: Schlimmer ist die Angst vor dem Schmerz, vor der Folter. Aber es gibt etwas, was noch schlimmer für mich ist: von allen für einen erklärten Faschisten gehalten zu werden. Zwei Tage nach diesem Besuch schwor ich Valentí Targa, alle Maquisards dieser Welt zu erledigen, und beschwerte mich, daß ich immer noch keine Falangeuniform hatte. Valentí war irritiert von dem dreisten Schlag des Maquis: Vor der Nase der Armee war die Brücke von Hostal Nou auf dem alten Weg nach Rialb in die Luft geflogen. Noch nie zuvor hatte der Maquis so weit im Süden zugeschlagen, und das erboste Militärs und Falange gleichermaßen. Am nächsten Tag ließ ich mich ganz offiziell in Uniform fotografieren, und seitdem betrachtet mich Valentí unzweifelhaft als einen der ihren. Jetzt verstehe ich, daß es etwas gibt, was noch grausamer ist, als im ganzen Dorf als Faschist zu gelten, und das ist, vor Dir als Faschist dazustehen, meine Tochter. Und vor Dir, Rosa.
    »Aus Sicherheitsgründen. Wenn alles vorbei ist, kannst du es ihr erklären.«
    »Aber sie ist meine Frau.«
    »Es geht nicht. Außerdem lebt ihr nicht mehr zusammen.«
    »Dann weigere ich mich, mit euch zusammenzuarbeiten.«
    Da zog der Mann die Pistole aus Tasche und sagte: »In diesem Fall habe ich Anweisung, dich auf der Stelle zu liquidieren.«
    »Du machst mir das Leben zur Hölle.«
    »Denk an die Hölle, in der die Ventura lebt, zum Beispiel. Oder an Tònia von den Misserets. Oder an die Familien der Tausende von Soldaten, die beim Maquis sind. Denk dran.«
    Ich entgegnete ihm, daß der Bürgerkrieg seit Jahren aus sei, und er erwiderte, Europa stehe in Flammen, die Nazis seien nicht besiegt, und hierzulande befänden sich viele Leute noch im Krieg. Wie entscheidest du dich? Oriol schwieg eine Viertelstunde lang, tat so, als korrigierte er seine Hefte, und dachte,Vater, laß diesen Kelch an mir vorübergehen, und der dunkle Mann beobachtete ihn ungerührt von dem Winkel aus, in dem er sich vor möglichen Schnüfflern verborgen hielt, und wartete auf seine Entscheidung.
    Schließlich akzeptierte ich, weil mir nichts anderes übrigblieb, und erwog heimlich sogar, es später zu melden. Aber aus einer Art Scham heraus, dem Wunsch, mir den Rest meiner Würde zu bewahren, meinte ich es ehrlich, als ich sagte: »Einverstanden, ich akzeptiere, aber ich werde so nicht leben können, wenn ich es meiner Frau nicht sagen kann.«
    »Wir werden sehen, was wir tun können«, sagte der Mann vage und fügte dann etwas energischer hinzu: »Danke, Kamerad.«
    »Nenn mich nicht Kamerad. Jeder nennt mich Kamerad. Die Falangisten nennen mich Kamerad, obwohl ich gar kein offizielles Mitglied bin; in der Zeitung steht unter meinem Foto Kamerad Fontelles. Ihr sollt mich nicht Kamerad nennen. Ich heiße Oriol Fontelles.«
    »In Ordnung. Ich werde Leutnant Marcó genannt.«
    Und so kam es, meine Tochter, daß seit ein paar Wochen zahlreiche Mitteilungen zwischen Inland und

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