Die Strafe des Seth
geschehen?«, fragte sie müde und gähnte.
Chaemwaset setzte sich auf die Kante ihre Bettes, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an seine Brust.
»Was ist los, lieber Bruder. Du machst mir Angst.« Bakenwerel machte sich aus seiner Umarmung los. »Hattest du einen bösen Traum?« Liebevoll strich sie ihm mit der Hand über die Wange.
Er nickte und nahm ihre Hand in seine, um sie zu küssen. »Es war grauenvoll.«
»Erzähle mir von deinem Traum«, bat sie ihn und zog ihn zu sich aufs Bett.
Chaemwaset ließ es geschehen und schmiegte sich ganz dicht an sie, sodass Bakenwerel spüren konnte, dass er zitterte. Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und liebkoste ihn, während er nach den rechten Worten suchte.
»Mir ist Seth im Traum erschienen ...«, sagte er schließlich und stockte. Er wusste nicht, ob er Bakenwerel sagen sollte, was der Gott von ihm verlangt hatte.
»Und was ist geschehen?«, fragte sie liebevoll und gab ihm einen Kuss auf seinen kahl geschorenen Kopf.
»Ach nichts«, wich Chaemwaset aus und rollte sich auf den Rücken. »Es war nur beängstigend, dem Gott Auge in Auge gegenüberzustehen.«
Bakenwerel stützte sich auf den Ellenbogen und sah Chaemwaset prüfend an. »Du verheimlichst mir etwas. Was hat er von dir gewollt?«
»Nichts.« Chaemwaset schloss die Augen. Er war noch nicht bereit, darüber zu reden.
Am nächsten Tag blieb er seiner Arbeit fern. Er stand noch vor Res Erscheinen am Horizont auf, aß etwas und fuhr anschließend hinaus auf den Fluss, um zu fischen. Er wollte allein sein und in aller Ruhe darüber nachdenken, dass der Gott ihm befohlen hatte, er sollte die Maat wieder über das Chaos setzen. Aber wie?
Er zermarterte sich das Herz.
Stand womöglich sein Traum mit der Urteilsverkündung in Zusammenhang, die tags zuvor stattgefunden hatte?
Nachdenklich starrte er auf das Wasser, dass in Res Strahlen glitzerte und funkelte.
Bevor er am Morgen aufgebrochen war, hatte ihm ein Diener die Nachricht eines Beamten überbracht, dass der Pharao die Urteile unterzeichnet hatte. Die Todesurteile waren somit rechtsgültig, und Ramses-Sethherchepeschef hatte sich gegen die Maat vergangen.
Wollten die Götter ihn dafür bestrafen?
Chaemwaset kam zu keiner schlüssigen Antwort.
Er zog die Angelschnur ein und ruderte zurück zu seinem Anwesen.
Bakenwerel sah ihn nur fragend an, als er durchgeschwitzt und schmutzig wieder nach Hause kam, doch sie sagte kein Wort. Er hingegen zog sich in seine Gemächer zurück, wo er im Laufe des Abends einen Entschluss fasste. Er musste Nesamun um eine Unterredung bitten.
* * *
»Was kann ich für dich tun?«, begrüßte der Erste Prophet des Amun-Re am übernächsten Tag den Nomarchen des thebanischen Gaus. Er bot ihm einen bequemen Platz an und blickte erwartungsvoll in sein Gesicht.
Schweigend hielt Chaemwaset dem Blick stand und machte vorerst keine Anstalten, auf die Frage zu antworten.
Nesamun war achtundfünfzig Jahre alt, wenn der Prinz sich recht erinnerte. Am heutigen Tag wirkte er auf ihn wie ein Hundertjähriger. Dunkle Schatten umflorten seine Augen, sein Gesicht war eingefallen und grau. Der Schmerz zeichnete deutlich seine Körperhaltung. Gebeugt wie ein Greis kauerte er hinter seinem Tisch.
Betreten wandte der Prinz den Blick von Nesamun.
»Es tut mir aufrichtig leid, was deinem Sohn und deinem Enkel widerfahren soll«, erwiderte er schließlich und starrte auf seine reichverzierten Sandalen, die in den durch die Fensteröffnungen einfallenden Sonnenstrahlen funkelten. »Sind sie noch am Leben?«
Nesamun bejahte. »Doch wenn heute Abend Re in seiner Barke in die Unterwelt fährt, werden sie ihm folgen müssen.« Er schluckte schwer und wischte sich verstohlen über die Augen.
»Verzeih, dass ich dich in deinem Kummer mit meinen Problemen behellige«, entschuldigte sich Chaemwaset. »Ich habe Verständnis, wenn ich später wiederkommen soll, damit du ein letztes Mal deinen Sohn besuchen kannst, aber ...« Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her und wagte nicht, dem alten Hohepriester in die Augen zu schauen.
»Ich danke dir für deine Anteilnahme, Hoheit, aber sprich. Auch wenn der Schmerz mich beinahe verzehrt, so will ich doch ein offenes Ohr für dein Anliegen haben. Es scheint von äußerster Dringlichkeit zu sein.«
»In der Tat, Nesamun.« Chaemwaset räusperte sich und sah nun endlich seinem Gegenüber ins Gesicht. »Ich hatte einen beunruhigenden Traum. Ich habe bis jetzt mit
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