Die Strafe - The Memory Collector
brachte. Er begrüßte Jo mit einem sparsamen Nicken.
Jo trat an den Monitor und betrachtete die Querschnittaufnahme von Ian Kanans Kopf. »Was ist das da?« Ihre Stimme war tonlos.
Chakrabarti berührte das Bild mit dem Zeigefinger. »Eine Läsion.«
»Eine Verletzung im mittleren Teil der Schläfenlappen, das sehe ich. Aber was ist das ?« Jo deutete auf eine Stelle tief in Kanans Gehirn. Wo die graue Substanz der mittleren Temporallappen hätte sein müssen, befand sich ein dunkler, verschwommener Fleck.
»Auf der nächsten Aufnahme kann man mehr erkennen«, erklärte Chakrabarti.
»Mehr klingt schlecht«, entgegnete Jo.
»Ist es auch.« Er tippte etwas ein. »Mr. Kanan fiel es schwer, im MR-Scanner still zu halten. Er war sehr nervös. Eine Minute lang lag er ruhig da, dann hatte er vergessen, wo er war, und wollte herausklettern. Hat geschrien: ›Wo bin ich hier, verdammt?‹«
»Als würde sein Gehirn immer wieder auf Start schalten?«
»Und täglich grüßt das Murmeltier«, warf Simioni ein.
Chakrabarti rief ein neues Bild auf. Simioni holte zischend Luft.
Durch Kanans mittlere Schläfenlappen zogen sich schwarze Streifen. Als hätte jemand mit einer rostigen Nadel Linien in das Bild gekratzt.
Jo spürte ein flaues Flattern im Magen. »Diese … Bänder - sind sie verantwortlich für den Gedächtnisverlust?«
Simioni deutete mit einem Stift. »Der Schläfenlappen und vor allem der Hippocampus sind die Teile des Gehirns, die Fakten und Ereignisse zu Erinnerungen verarbeiten. Ich denke also, Ihre Vermutung trifft zu.«
»Und was ist es?«
Chakrabarti blieb stoisch. »Ich weiß es nicht. Auf keinen Fall eine Blutung. Kann er sich an eine Kopfverletzung erinnern?«
»Er sagt nein«, erwiderte Jo. »Ist es womöglich ein Virus? Bakterien?«
Schweigend starrten die beiden Ärzte auf den Monitor. Schließlich fragte Simioni: »Haben Sie seine Frau schon erreicht?«
»Nein. Ich hab ihr eine Nachricht hinterlassen.«
Nachdem sie noch eine Weile ratlos den Bildschirm studiert hatten, wandte sich Simioni zum Gehen. »Ich werde es noch mal bei ihr probieren. Auf jeden Fall müssen wir es ihm sagen.«
KAPITEL 5
Der schwarze Lieferwagen wartete auf der Auffahrt, während sich das Garagentor öffnete. Regen prasselte auf die Windschutzscheibe. Dröhnend schob sich die Tür nach oben, und der Wagen rollte hinein.
Alan Murdock stellte den Motor ab. »Lad die Sachen aus.«
Vance Whittleburg hüpfte hinaus und zog sich die Jeans hoch, deren Schritt ihm fast bis in den Kniekehlen hing. Dann machte er sich daran, Tüten mit Lebensmitteln und Kisten mit Munition ins Haus zu tragen. Selbst beim Schleppen von Mineralwasser und Ketchup gab er die Pose des Gangsterrappers nicht auf.
Murdock ließ die Garagentür nach unten gleiten. Sie befanden sich hier in einem vernachlässigten Ranchhaus in Mountain View, ein Stück abseits von der San Antonio Road. Dicht bei den Zuggleisen, war es beileibe nicht das einzige Anwesen an der Straße mit unkrautüberwuchertem Garten und Mülltonnen, in denen streunende Hunde nach Futter suchten. So etwas wie eine Nachbarschaftswache gab es hier nicht. Die ganze Gegend war ziemlich verwahrlost.
Wenn hier eine Zeit lang neue Mieter ein und aus gingen, kümmerte das niemanden.
Die Haustür öffnete sich, und Ken Meiring stapfte in die Garage. Ein Verband auf seinem muskelbepackten Unterarm bedeckte die blutige Bisswunde, die ihm Seths Hund beigebracht hatte. Kens Gesicht war rot bis hoch zum Bürstenhaarschnitt. Die Aknepickel um seinen Hals standen ab wie Pestbeulen. Wenn der Typ nicht bald abnahm und seinen Steroidkonsum reduzierte, musste er ernsthaft mit einem Schlaganfall rechnen.
Murdock stakste zum Wandschrank. »Ich hab Neuigkeiten, die deinen Blutdruck senken werden.«
»Schieß los, Dirty Harry - bin ganz Ohr.«
Murdock ignorierte den Spott. Auch wenn er nicht mehr bei der Polizei von San Francisco war - das SFPD-Shirt würde er tragen, bis es auseinanderfiel. »Aber über die Abschiedsgeschenke, die ich von der Truppe mitgebracht habe, beschwerst du dich nicht.«
Er öffnete den Schrank. Er war gerammelt voll mit den netten Sachen, die er aus dem Polizeigewahrsam befreit hatte. Unter anderem lagerten hier Plastikhandschellen, Tränengas und ein handlicher Gummiknüppel. Er deponierte eine Schachtel Neunmillimeter-Munition neben seiner Pistole.
Ken knurrte. »Na schön, dann lass deine Glücksbotschaft hören.«
»Er ist hier.«
Kens Augenbrauen zuckten nach
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