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Die Strafe - The Memory Collector

Titel: Die Strafe - The Memory Collector Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Gardiner
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aber das Lächeln wirkte weniger selbstgefällig als schelmisch. Seth hockte im Schneidersitz auf dem Rasen und spielte Gitarre. Ein großer Hund mit der Färbung eines Irish Setters und der freundlichen Dusseligkeit eines Labradors stupste ihn mit der Schnauze an der Schulter.
    »Netter Junge. Wie alt ist er?«
    »Vierzehn.«
    Jo schwieg. In so einer Situation stellten manche Leute Fragen oder platzten mit emotionalen Anekdoten heraus. Andere behielten alle Vorurteile, Hoffnungen und Mythen, die um ihre Liebsten kreisten, für sich. Sie wartete ab, ob Misty etwas über ihren Sohn sagen würde. Sie tat es nicht.
    »Haben Sie es ihm erzählt?«, fragte Jo.
    »Noch nicht.« Mistys Fuß zappelte weiter.
    Jo wollte fragen: Alles in Ordnung mit der Familie? Doch hart im Nehmen bedeutete in diesem Fall offenbar stur, trotzig, abweisend. Also blieb sie kühl.
    »Im Rahmen einer psychologischen Untersuchung muss ich das Leben des Opfers nachzeichnen. Ich interessiere mich für seine gesamte Geschichte, das heißt für medizinische, psychologische und emotionale Dinge. Familie, Beziehungen, Ehe …«

    Die Röte begann an Mistys Halsansatz und lief rasch hinauf bis über ihre Wangen. »Sie wollen über unser Sexleben sprechen?«
    Jo machte eine beruhigende Geste. »Unter anderem, aber nicht ausschließlich.«
    Misty leckte sich über die Lippen. »Schon gut. Ian und ich, wir stehen uns sehr nahe. Schon lange. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, hat es sofort gefunkt.«
    Die Röte in ihrem Gesicht pulsierte fast. Hätten sie das Licht ausgeschaltet, wäre das Zimmer in einen scharlachfarbenen Schein getaucht worden.
    »Wir sind absolut seelenverwandt. In seiner Gegenwart könnte ich alles vergessen. Ich …« Sie verstummte, als sie merkte, dass sie das Wort vergessen benutzt hatte. Ihre Augen glühten wie Blitzlampen. »Super, ein Freud’scher Versprecher.«
    Vielleicht.
    »Ist mir nur so rausgerutscht.«
    »Psychiater bemerken solche Dinge, Misty. Aber sie fällen kein vorschnelles Urteil.«
    Misty schob das Kinn vor. »Wir sind glücklich im Bett. Zufrieden?«
    »Alles klar.«
    Mistys Fuß zuckte weiter. Sie senkte den Blick. Als sie wieder aufschaute, glitzerten helle Tränen in ihren Augen. »Wie wird er von jetzt an sein? Wird er mich vergessen?«
    Jo überlegte, was sie sagen konnte und wie viel Unumstößlichkeit sie in ihre Worte legen durfte.
    »Ich bin seine Frau. Und ich bin Schulschwester. Sie können mir ruhig reinen Wein einschenken.«

    »Seine Erinnerungen aus der Zeit vor der Verletzung sollten intakt bleiben«, erklärte Jo.
    »Er wird also nicht vergessen, wie er heißt, wo er aufgewachsen ist, was er beruflich macht - solche Sachen.«
    »Genau.«
    »Und unsere Ehe?«
    »Auch an die wird er sich erinnern. Sein Gedächtnisverlust ist anders als der, der immer in Filmen gezeigt wird. Anterograde Amnesie heißt, dass er keine neuen Erinnerungen bilden kann.«
    »Wenn er mich sieht, weiß er also, wer ich bin. Wenn er heimkommt, wird er unser Haus erkennen.«
    »Ja.«
    Die Knöchel, die sich um Mistys Knie klammerten, waren weiß. »Und wird sich sein Zustand mit der Zeit bessern?«
    »Wir wissen es nicht mit Sicherheit, aber es ist unwahrscheinlich.«
    Ein weißer, kalter Blitz wie von einem Stroboskop flackerte durch Mistys Augen. Dann war alles wieder normal. »Sie wissen nicht, was im Gehirn vorgeht, oder? Sie sind Psychiaterin. Sie befassen sich nicht mit Medizin, sondern mit Emotionen. Ein wissenschaftlicher Durchbruch ist jederzeit möglich.«
    Und das von einer Krankenschwester? »Wie gesagt, in diesem Fall ist nicht damit zu rechnen.«
    Misty musterte Jo, als wollte sie sie sezieren. »Ich möchte hier eins klarstellen. Ich stehe zu ihm. Ian und ich, wir lieben uns. Ab dem Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal sah, wusste ich, dass er der Mann meines Lebens ist. Das weiß
ich immer noch, und ich werde nicht zulassen, dass er mir einfach entgleitet. Ich werde um ihn kämpfen.«
    Ihr Blick verlor die Kälte und brannte jetzt, als wartete sie nur auf Jos Widerspruch. In ihrem Panzer hatte sich ein Sprung aufgetan, durch den Worte herausgedrungen waren, die sie so lange in sich eingeschlossen hatte, dass sie fast verrostet waren.
    Nach einer Weile wechselte Tang das Thema. »Warum hat er aus dem Nahen Osten zwei Dolche und ein Krummschwert mitgebracht?«
    Wieder glommen Mistys Augen auf, aber dumpf diesmal, wie das seltsame Messer, das Jo in Kanans Hand gesehen hatte. »Er arbeitet für merkwürdige,

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