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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie lächelte leicht, »du hast dir in Münster Bücher gekauft, um das zu verstehen.«
    »Nach dem Lesen weiß ich noch weniger als vorher.« Doerinck nahm seiner Tochter die Kuchenplatte ab, nur um mit seinen Händen irgend etwas anzufangen. »Ich habe mir nur eins gesagt: Wenn meine Tochter das besitzt, was da beschrieben wird, dann wird sie mir selbst als Vater unheimlich. Cora, seit wann weiß du …«
    »Schon immer, Papa. Als Kind schon spürte ich, wenn ich einen anderen Menschen ansah: Der Onkel ist krank, die Tante hat etwas Böses im Bauch. Und was in meinen Händen ist, merkte ich zum erstenmal, als ich fünfzehn Jahre alt war. Da besuchte ich eine Klassenkameradin, die krank im Bett lag. Mandelentzündung. Ich legte die Hände um ihren Hals … nach zwei Tagen war die Entzündung weg.«
    »Sie hatte sicherlich vorher Antibiotika bekommen«, sagte Dr. Hambach kurzatmig. Er begriff immer mehr die Ausweglosigkeit, in die man hineinkam. »Das war's!«
    »Nein. Thea war allergisch gegen Antibiotika. Ganz schlimm wurde es später während des Studiums … ich bin ja auch gewissermaßen von der Uni geflogen. Und während der Heilpraktikerausbildung …« Sie stockte, ihr Gesicht verhärtete sich, sie nahm ihrem Vater die Kuchenplatte ab, und es war, als falle eine Klappe herunter und verschließe alle Erinnerung. »Wir müssen zu Mama. Sie ist immer so stolz auf ihren kaukasischen Kuchen.«
    »Ich kriege keinen Bissen runter«, sagte Doerinck heiser. »Kannst du jetzt was essen, Ewald?«
    »Ich will's versuchen. Wir dürfen Ljudmila nicht mit ihrem Kuchen bestrafen, weil wir uns so elend fühlen, Cora?«
    »Ja, Onkel Ewald?«
    »Was wirst du tun, wenn in Kürze viele Kranke zu dir kommen und dich um Hilfe bitten?«
    »Ich werde ihnen helfen. Ich tue es ja bereits.«
    »Was?« Es war fast ein Aufschrei, der aus Dr. Hambach hervorbrach. »Wo?«
    »In meiner Teppichwerkstatt. Bisher habe ich neun Kunden geheilt. Das alles ist in einem Tagebuch festgehalten.« Sie lächelte wieder, jetzt sogar etwas verschmitzt. »Nur, sie haben es nie gemerkt, daß ich sie behandelte. Ich habe immer gesagt: ›Kommen Sie übermorgen wieder und sehen Sie sich die Farben an‹, oder: ›In drei Tagen habe ich einen neuen Entwurf fertig.‹ Und so bestellte ich sie mehrmals, bis ich spürte: Sie sind geheilt. Das sagten sie dann auch. Sie erzählten von ihren Krankheiten und wie die plötzlich verschwunden waren. Dreimal chronische Gastritis hatte ich dabei und ein Magengeschwür, das operiert werden sollte. Es war nicht mehr da, als man vor der Operation noch einmal röntgte. Jetzt hat eine Frau Habinghorst aus Rheine einen Teppich bei mir bestellt, sie hat schreckliches Asthma. Schon nach dem zweiten Besuch geht es ihr besser.«
    »Ich kapituliere!« sagte Dr. Hambach und wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich habe keine Argumente mehr. Essen wir den Birnenkuchen vom Kaukasus …«
    *
    Erasmus Roemer meldete sich mit einem Attest von Professor Dr. Willbreit auf unbestimmte Zeit krank. Sein Kollege, Landgerichtsdirektor Dr. Berner, übernahm Roemers Strafkammer. Die Angeklagten, die auf ihren Prozeß warteten, atmeten auf. Ihre Anwälte zeigten hoffnungsvolle Mienen. Berner war zwar kein Friedensengel, aber ihm ging beim Prozeß die giftige Rhetorik ab, mit der Roemer glänzte und seine Gegner zur Verzweiflung brachte. Er war ein guter, biederer deutscher Richter mit dem Ehrgeiz, eine Verhandlung schnell durchzuziehen. Bei ihm waren noch nie Morddrohungen – wie bei Roemer – eingelaufen. Man hatte ihm auch noch nie die Autoreifen zerschnitten. Ein Prozeß bei Dr. Berner war geradezu langweilig.
    Anders bei Roemer. Da kam es einmal vor, daß ein Angeklagter aus der Anarcho-Szene aufsprang, zum Richtertisch hinüberflitzte, ehe der Wachtmeister neben ihm ihn halten konnte, sich die Hose herunterriß und vor Dr. Roemer seine Notdurft verrichtete. Und was tat Roemer? Er beugte sich vor, reichte dem grinsenden Provokateur einige Bogen Papier zum Hinternabwischen und fragte in die Runde: »Können wir weiterverhandeln, oder haben die Herren Bedenken, jetzt, wo er sein Gehirn ausgeschissen hat?«
    So etwas sprach sich natürlich rum. Roemers Strafkammer war immer für einen Gag gut.
    Die erste Untersuchung Roemers in der Klinik, das Nachweisen von Urobilinogen, eine Senkungsbeschleunigung, und Splenomegalie führten dazu, daß Willbreit sehr munter wurde. Nach stundenlangen Tests und Laborauswertungen, nach Röntgen-

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