Die strahlenden Hände
knirschten leise.
»Was spüren Sie?«
Roemers Augen weiteten sich. Verzweifelt ruhte sein Blick auf Corinnas schwarzen Haaren, die unter ihm im Sonnenlicht schimmerten.
»Nichts … Noch nichts …«
»Es kann auch nicht.« Sie ließ die Hände sinken, trat drei Schritte zurück und schlug dann mit einer wilden Gebärde die Hände vor ihr angespanntes, kantig gewordenes Gesicht. »Ich spüre auch nichts. Gar nichts. Es geht nicht …«
»Aber ich will leben!« schrie Roemer. Es war, als explodiere die ganze Qual seiner Angst. »Ich will leben! Leben!« Er wälzte sich nach vorn, erstaunlich schnell für seine Fülle, riß Corinna an sich und drückte sie mit beiden Armen gegen seine Brust. »Noch einmal!« brüllte er. »Corinna, noch einmal … Ich flehe Sie an! Noch einen Versuch! Ich glaube doch an Ihre Kraft … ich glaube doch daran … Was kann ich mehr tun? Sie müssen es noch mal versuchen!«
Mit einer Wildheit, die man nie in ihr vermutet hätte, stemmte sie sich gegen seine Brust, hieb mit den Fäusten um sich, tat, als ob sie sich fallen ließe und entkam so seiner verzweifelten Umklammerung. Mit ein paar Sprüngen war sie an der Tür.
»Tun Sie das nie wieder!« rief sie. »Nie wieder! Sie zerstören alles …«
»Ich … ich will weiterleben, Corinna …«, stammelte Roemer. Er wischte sich über das Gesicht und tappte dann wie ein Blinder zum Fenster. Als er es aufriß, knirschten die Scharniere im dicken Holzrahmen. »Leben!« brüllte er in die freie Weite. Es war wie ein letzter Aufschrei. Danach sank er in sich zusammen, und Corinna hielt den Atem an, weil es aussah, als würde alle Energie aus ihm entweichen. »Ich zerstöre doch nichts …«
»Doch. Wie soll ich Ihnen das erklären?« Sie legte die Hände wieder aneinander. Roemer sah es mit einem Zittern. Jetzt lädt sie sich wieder auf, dachte er glücklich. Sie versucht es noch einmal. Sie sammelt neue, größere Kraft. Sie wird mir helfen. »Wenn man mich zwingt, ist alles leer in mir. Verstehen Sie das? Ich muß ein aggressionsfreier Mensch sein, ein positiver Mensch. Ich habe versucht, dafür Erklärungen zu finden. Seit ich weiß, daß ich … anders bin als andere Menschen, habe ich nach Erklärungen gesucht. Es gibt viele Deutungen, aber die überzeugendsten Forschungsergebnisse kommen aus Rußland.« Sie lächelte schwach, als wolle sie um Verzeihung bitten, daß es wieder die Russen waren. »In Rußland, an der Universität von Alma-Ata in Kasachstan, ist eine ganze Gruppe von Wissenschaftlern – Chemiker, Biophysiker, Ärzte, Biologen und Psychiater – damit beschäftigt, daß Geheimnis der vom Menschen ausgehenden Strahlen zu ergründen. Sie nennen die seltsame Kraft bio-plasmatische Feldenergie. Die beiden Forscher Injuschin und Grischenko haben das den Körper umgebende Strahlungsfeld, eine Art Aura, bereits durch mikroskopähnliche optische Spezialapparaturen sichtbar gemacht. Der Ingenieur Kirlian aus Krasnador und seine Frau Valentina konnten es mittels der von ihnen entwickelten Elektrofotografie im Hochfrequenzfeld, kurz Kirlian-Fotografie genannt, sogar im Bild festhalten. Jedoch kann sich die Bio-Energie eines Menschen nur dann frei und wirkungsvoll entwickeln, wenn die ausstrahlende Person sich unbeeinflußt, gewissermaßen störungsfrei, zu konzentrieren vermag. Verstehen Sie?«
»Nein! Wer kann das verstehen? Kein normaler Mensch.« Roemer suchte einen Sitzplatz, sah nur den umgestürzten Schemel, richtete ihn wieder auf und sank darauf nieder. »Sie könnten es mir stundenlang erklären, ich könnte darüber hundert Bücher lesen – aber das ist alles so ungeheuerlich, so phantastisch, so jenseits allen menschlichen Denkens, daß man hier aufhören sollte, als normaler Mensch zu überlegen. Hier ist der Punkt erreicht, wo man nur noch glauben kann. Und ich glaube an Sie, Corinna!«
»Und trotzdem versage ich bei Ihnen«, entgegnete sie leise.
»Aber warum? Warum? Was ist an mir?«
»Ich weiß es nicht. Man kann es nicht erklären.«
»Ich bin ein todkranker Mensch. Ihre Strahlen müssen das doch aufnehmen, so wie bei Ihrer Mutter und wie bei den anderen …«
»Meine Hände sind tot bei Ihnen.«
»Nur bei mir?«
»Bisher ja. Ich habe das noch nie gespürt. Das Nichts … die Leere …«
»O mein Gott.« Roemer schlug beide Hände vor sein Gesicht und saß eine Weile regungslos auf dem Schemel. »Was habe ich denn getan? Ja, ich habe gesoffen und gehurt, und ich habe Elise auch nur geheiratet, weil
Weitere Kostenlose Bücher