Die strahlenden Hände
lebensverlängernden Therapie, werde ich Sie für alle Folgen zur Rechenschaft ziehen!«
»Es wäre besser, Sie gehen jetzt, Herr Professor«, sagte Doerinck hart und trat an Willbreit heran.
»Ich hindere niemanden.« Corinna sah zu Roemer hinüber. »Hindere ich Sie an irgend etwas?«
»Mein Freund Thomas gehört zu den Eiferern«, dröhnte Roemer. »Im Mittelalter wäre er Inquisitor gewesen und würde Sie auf einen Holzstoß binden und anbrennen. Kümmern Sie sich nicht um ihn.« Er winkte ab, als Willbreit etwas sagen wollte, und ging zur Tür der Werkstatt. »Wir müssen uns noch über das Motiv einig werden. Setzen wir unser Gespräch fort. Kommen Sie, Corinna!«
Er tappte in den Nebenraum und man hörte, wie er sich polternd auf den Schemel setzte. Corinna bückte sich, klappte die Skizzenmappe zu und legte sie zurück auf den großen Tisch. »Ich nehme an«, sagte sie dabei, »Sie sind an einem Teppich nicht mehr interessiert, Herr Professor.«
Willbreit verzichtete auf eine Antwort. Er drehte sich brüsk herum und verließ die Scheune. Draußen wartete er, an seinen Maserati gelehnt, bis Doerinck herauskam.
»Steigen Sie ein«, sagte er rauh. »Ich bringe Sie wieder nach Hause.«
»Danke«, antwortete Doerinck knapp. »Nicht nötig.«
»Sie wollen zu Fuß gehen? Das ist ein ziemliches Stück.«
»Ich bin mein Leben lang gern gewandert. Es macht mir Spaß.«
»Ich möchte mit Ihnen noch reden.«
»Aber ich nicht mit Ihnen.«
»Wir sollten nicht aufeinander herumhacken, sondern vernünftig sein.«
»Was nennen Sie vernünftig? Daß Sie meine Tochter eine Verbrecherin nennen? Ich habe mir vorhin ernsthaft überlegt, ob ich Ihnen eine runterhauen soll. Früher hätte ich bestimmt anders gehandelt, als Offizier …«
»Das ist lange her. Jetzt sind Sie Lehrer und stellvertretender Rektor, eine geachtete Persönlichkeit in dieser Kleinstadt, deren Leben mustergültig zu sein hat. Ein Vorbild, wie man so schön sagt. Jeder Schmutzfleck bei Ihnen wirkt zehnmal mehr als bei anderen Bürgern. Ihre Tochter könnte Ihnen da sehr schaden, wenn sie so weitermacht.«
»Das hört sich nach einer Drohung an. Warum stehe ich hier überhaupt bei Ihnen und lasse mir das gefallen? Fahren Sie ab!«
»Weil Sie selbst unsicher sind, Herr Doerinck. Weil Corinna beginnt, ihrem eigenen Vater unheimlich zu werden.«
»Das nehmen Sie an!«
»Das ist natürlich. Hätte ich eine Tochter, die durch Streicheln heilen kann, würde mir auch unheimlich zumute.«
»Damit erkennen Sie an, daß Corinnas Hände Wunder vollbringen können.«
»Nein!« Willbreit schüttelte den Kopf. »Ich wollte sagen: Wäre ich solch ein Vater, würde ich alles tun, um meiner Tochter die Folgen solcher Scharlatanerie vor Augen zu führen.«
»Sie dürfte mit dreißig Jahren erwachsen genug sein.«
»Bleibt sie nicht Ihre Tochter?«
»Ich bin nicht mehr für sie verantwortlich. Sie lebt ihr eigenes Leben.«
»Das auch Ihr Leben unter Umständen ruinieren kann.«
»Wie ich Sie einschätze, werden Sie fleißig dabei helfen.«
»Das wird kaum nötig sein.« Willbreit zog die Tür seines Maserati auf. »Sie haben ein Leben voller Erfahrungen hinter sich, Sie müßten die Menschen doch kennen. Wenn erst einmal bekannt wird, daß in Hellenbrand so etwas wie Wunder geschehen, werden Sie alle unter einer Lawine der Hysterie begraben werden. Glauben Sie wirklich, daß Sie so etwas schadlos durchstehen? Mit Sonderbussen und Sonderzügen wird man hierher kommen. Pilgerfahrten werden organisiert werden. Die Hyänen der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens werden über Sie herfallen. Von den behördlichen Maßnahmen schweigen wir mal ganz. Und wenn dann die aufgeblähte Sensation wie eine Seifenblase platzt, sitzen Sie auf den Trümmern Ihres so mühsam aufgebauten und wirklich schönen Lebens.« Willbreit zeigte auf die Tür des Wagens. »Wollen Sie nicht doch einsteigen, Herr Doerinck?«
»Nein. Ich gehe zu Fuß.« Doerinck blickte hinüber zur Werkstatt seiner Tochter. Dort stand Roemer am Fenster und schien darauf zu warten, daß Willbreit endlich abfuhr.
Er hat ja recht, dachte Doerinck. Wenn sich Corinnas Fähigkeiten herumsprechen, wenn sie an die breite Öffentlichkeit kommen, bricht hier die Hölle auf. Er erinnerte sich plötzlich der Massenversammlungen mit dem Wunderheiler Groening, der Stanniolkugeln verteilte, die er vorher mit seinen Strahlungen aufgeladen hatte – bis alles wie ein Spuk verflog und sich wirklich als Massenhysterie
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