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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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herausstellte. Sollte sich das jetzt tatsächlich bei Corinna wiederholen? »Ich danke Ihnen für Ihre apokalyptische Vorausschau, Herr Professor«, sagte er mit Sarkasmus; nur so konnte er sich jetzt retten. »Warten wir doch ab, wie sich alles entwickelt.«
    Willbreit hob resignierend die Schulter, schob sich in seinen flachen Sportwagen und schlug die Tür zu. Roemer stand noch am Fenster der Werkstatt; Willbreit bemerkte, wie er sich mit seinem großen Taschentuch, das mehr einem Handtuch glich, über das breite, fette Gesicht wischte. Er hat Angst, dachte er. Er darf auch Angst haben, so grausam dieser Gedanke ist. Mit dieser Leberkrankheit darf man getrost sein Testament machen und sein Haus bestellen. Erasmus, begreif es doch bei aller Verzweiflung: Es gibt keine Wunder in der Medizin! Auch wenn die Wallfahrtsorte voller Krücken und Dankestafeln hängen, auch wenn aus Lourdes die wundersamsten Meldungen kommen – es gibt keine Wunder! Und schon gar nicht in Hellenbrand im Münsterland!
    Doerinck blickte Willbreit nachdenklich hinterher, als der mit aufjaulendem Motor über die schmale Zufahrt hinaus auf die Landstraße jagte. Er zögerte. Soll ich zu Cora zurück? dachte er. Doch was könnte ich ihr sagen? Ihre Antwort kenne ich: Habe ich Mama geheilt oder nicht? Was soll man darauf entgegnen? Nein, es muß alles seinen Lauf nehmen, wie's auch kommt. Man kann nichts mehr verhindern, man darf es nicht einmal.
    Langsam setzte er sich in Bewegung, ging, etwas nach vorn gebückt, die Hände auf dem Rücken, durch die Baumgruppen davon und nahm den schmalen Weg durch die Felder zurück nach Hellenbrand. Es war ein Marsch von mindestens einer halben Stunde – Zeit genug, um vielen Gedanken nachzuhängen.
    Die Erinnerung an Ljudmilas Vater, den grusinischen Arzt David Semjonowitsch Assanurian, kam wieder hoch. Und an dessen Vater, jenes mutige Großväterchen, das die Deutschen wegen Sabotage an der Eisenbahnlinie Tiflis-Batum erschossen. Wieviel hatte doch Corinna von ihnen geerbt! Nicht nur die Unerschrockenheit und den Mut, sondern auch die geheimnisvolle Gabe, jenseits allen medizinischen Denkens den Kranken zu helfen. Er sah noch die Szene vor sich, wie Dr. Assanurian mit einem blanken Messer über die Nieren einer Patientin strich, ohne sie dabei mit der Klinge zu berühren – aber die Patientin schrie auf, als habe er tief in sie hineingestochen. Dann fiel sie in eine totenähnliche Ohnmacht. Drei Tage lang schied sie einen gelbtrüben, stinkenden Urin aus, dickflüssig und flockig. Schließlich stand sie auf, lief auf schwachen, schwankenden Beinen herum und trank gesäuerte Ziegenmilch. Nach einer Woche war sie munter und froh, kam zu Dr. Assanurian, fiel vor ihm auf die Knie und küßte seine Stiefelspitzen. Doerinck, als Offizier im Haus der Assanurians einquartiert, war fassungslos gewesen, als David Semjonowitsch sagte: »Nun kann sie wieder ihren Hof bearbeiten. Ihre Nierenvereiterung ist beseitigt.«
    »Durch das Messerauflegen?« hatte der damalige Leutnant Doerinck ironisch lächelnd gefragt.
    »Ich hatte die Klinge vorher drei Minuten lang zwischen meinen Händen gehalten und gerieben«, sagte Dr. Assanurian. »Sonst wäre es ein normales Messer gewesen …«
    Der junge Leutnant Doerinck hatte das nie begriffen und alles für faulen Zauber gehalten – genauso wie jetzt Professor Willbreit. Die Russen! hatte er gedacht. Typisch! Geisterglauben und Frömmigkeit … ein Volk am Rande der Welt. Mein Gott, wie falsch war das. Aber das erkannte er erst später, als er Ljudmila schon geheiratet hatte. Da kam über den weiten Umweg via Persien und Türkei ein schmales Päckchen bei ihnen an. Ein Kamerad des sibirienverbannten Assanurian schickte ihnen das Letzte, was der in der Taiga Verstorbene hinterlassen hatte: eine kleine Handikone mit dem Kopf einer schwarzen Madonna. Und ein Schreiben lag dabei: »Dieses Bild, das David Semjonowitsch immer auf der Brust trug, schicke ich Dir, Töchterchen Ljudmila, auf seinen Wunsch zu, damit es Dich immer beschütze. Siehst Du die Rillen oberhalb des Schleiers der Madonna? Das sind die Abdrücke von David Semjonowitschs Zähnen. Bevor er starb, hatte er das Bild im Mund, und in seinen letzten Stunden biß er darauf und starb ruhig und tapfer. Ich zog es ihm von den Zähnen weg und schicke es Dir, wie er es mir aufgetragen hat. Gott segne und schütze Dich, Töchterchen eines Mannes, dem Gott so nahe war …«
    Ljudmila hatte die kleine Handikone geküßt und

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