Die strahlenden Hände
Glas, trank einen guten Schluck von dem Mouton und saugte dann an seiner Zigarre. Lydia Willbreit war ein tolles Frauchen; nach außen hin immer von vornehmer Kühle und Distanz, aber wehe, man kniff ihr in den Hintern. Dann drehte man den Schalter einer Hochspannungsleitung an. Nur drehte Willbreit so selten …
In der Nacht klingelte das Telefon neben Roemer auf dem Nachttisch. Er ließ es klingeln, bis der Anrufer aufgab. Scheiße, dachte Roemer. Wenn's Elise war, dann spar dir alle Worte. Wenn's Willbreit war – zu spät, alter Junge. Der Augenblick der Schwäche ist vorbei. Außerdem bin ich besoffen. So richtig rund voll, wie in alten Zeiten. Da liegt man da und liebt die ganze Welt. Nicht stören, sag ich! Es ist alles so Wurscht …
*
»Wann hat er angerufen?« fragte Willbreit, als er nach Hause kam. Er schien sehr erregt und aufgewühlt zu sein.
Die Damen hatten das Willbreitsche Haus verlassen, überall roch es nach Zigaretten und Parfüm – der neue Wildgeruch der Weiber, würde Roemer sagen. Aber Lydia war aufgeblieben, um auf Thomas' Rückkehr zu warten. Das tat sie sonst nie, aber die Gespräche dieses Abends hatten sie so angeregt, daß in ihr ein nicht zu unterdrückendes Verlangen pulsierte. Warum auch sollte sie dieses Verlangen unterdrücken? Im Bett war Thomas immer noch ein Ereignis; er konnte, vor allem kurz vor dem Orgasmus, stahlharte Muskeln haben. Wenn sie dann aufschrie, war es, als schnelle er von einer Bogensehne ab. Hinterher kam sie sich vor, als habe er sie vergewaltigt … ein unheimlich starkes Gefühl.
»Vor ungefähr vier Stunden rief er an. Du warst heute länger weg als sonst.«
Willbreit blickte auf die goldene Kaminuhr. Echtes Barock. Ersteigert bei Foreman in London. Hatte ein Stinkegeld gekostet. Die goldenen Zeiger zeigten zwei Uhr morgens. Also um zweiundzwanzig Uhr hatte Roemer angerufen. Er mußte in Not gewesen sein.
»Wie war seine Stimme?« fragte Willbreit vorsichtig.
»Wie soll sie gewesen sein? Wie immer.« Lydia kam näher, lehnte sich an ihn und begann, ihm über Brust und Bauch zu streicheln. Als ihre Hand tiefer glitt, hielt er sie fest.
»Moment, Lydia. Was hat er gesagt?«
»Sauereien, wie immer.« Sie küßte ihn auf die Nase und strahlte ihn aus weiten, glänzenden Augen an. »Komm, laß meine Hand los … Ich habe so auf dich gewartet …«
»Sonst hat er nichts gesagt?«
»Nein!« Ihre Stimme wurde lauter. »Laß doch jetzt den Dicken weg … Tom …« Sie drängte sich an ihn, riß ihre Hand aus seinem Griff und fuhr tastend seinen Unterleib hinab. In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte ihn das wild gemacht. »Du benimmst dich wie eine Nutte«, hatte er gestöhnt. »Meine Frau eine Nutte – das macht mich total verrückt!« Und im Bett benahm er sich dann auch wie ein Rasender, wenn sie bei jeder neuen Version keuchte: »Das kostet hundert Mark … das zweihundert … jetzt sind es dreihundert …« Es war eine harmlose, erträgliche Perversion. Ihre Liebhaber vor Willbreit hatten da noch ganz andere Dinge abzischen lassen.
Jetzt aber trat Willbreit einen Schritt zurück. Lydias Augen wurden ganz weit, dann verengten sie sich gefährlich wie bei einer getretenen Katze. Ihre Brüste in dem dünnen, tief ausgeschnittenen Kleid waren halb entblößt. Das Gesicht zuckte.
»Ich muß Erasmus anrufen«, sagte Willbreit heiser. »Entschuldige, Lydia …«
»Entschuldige!« Es war wie ein Aufschrei. »Das ist alles, was du kannst? Entschuldige! Von jetzt ab kannst du betteln wie ein Hund – ich sehe dich nicht! Entschuldige! Du … du …«
Ihr fiel kein Wort ein, mit dem sie ihn beleidigen konnte; kein Wort, das jetzt zu ihm paßte. Mit einer wilden Gebärde raffte sie ihr Kleid über den Brüsten zusammen, drehte sich weg und lief aus dem Zimmer. Dann krachten im Haus ein paar Türen. Willbreit wartete, bis Ruhe war, ging dann hinüber in seine Bibliothek und griff nach dem Telefon.
Aber Roemer meldete sich nicht. Willbreit ließ es durchschellen, bis von Amts wegen die Verbindung abgebrochen wurde. Resignierend warf er den Hörer zurück.
Was wollte Roemer von ihm? Warum rief er plötzlich an? Um zweiundzwanzig Uhr? Hatten die Schmerzen begonnen? War es ein Notschrei? Mußte er – Willbreit – jetzt eingreifen? Wenn Roemer in seiner Situation spätabends anruft, dann hat das einen triftigen Grund. Er sucht Hilfe.
Willbreit verließ seine Bibliothek, knipste überall das Licht aus und ging durch den Verbindungsgang hinüber zu seiner
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