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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eben eine Hexe!
    Er war froh, ihr entronnen zu sein – wie er es ausdrückte. Als sei er auf der Flucht, jagte er nach Münster zurück. Doch er entkam ihr nur entfernungsmäßig; in seinem Inneren nahm er sie mit. Ihre Augen, ihre Hände, ihre Stimme.
    Professor Schwarthe, der Gallenspezialist von Münster, meckerte zwar herum, daß sein Bundesbruder Wewes ihn ausgerechnet am Sonnabend in die Praxis trieb, aber nach der ersten Untersuchung wurde er sehr freundschaftlich.
    »Das war ein guter Gedanke von dir, sofort zu mir zu kommen«, sagte Schwarthe. Wewes spürte wieder das Kribbeln unter der Kopfhaut. »Deine Gallenblase ist tatsächlich verrückt geworden. Komm morgen in die Klinik, da testen wir dich gründlich durch. Sieht wie eine beginnende Entzündung aus. Keine Sorgen, so was haben wir im Griff.«
    Am Abend löste Wewes sein Versprechen ein und rief den Stammtisch rundum an. Zuerst Viebieg, dann Willbreit, dann die anderen. Und allen gab er die gleiche Auskunft:
    »Fehlanzeige! Das Hexlein war nicht da. Nachbarn sagten, die ganze Familie sei nach Burgsteinfurt zum Einkaufen gefahren. Pech, Jungs. Ich versuche es nächste Woche noch mal.«
    Es fiel ihm nicht schwer, so überzeugend zu lügen. Im Gegenteil, er war fast glücklich darüber, mit der Hexe ein gemeinsames Geheimnis zu haben.
    *
    Es gibt zwei Arten von Hyänen: die in der afrikanischen Steppe und die unter der menschlichen Gesellschaft. Letztere nennt man auch Zeitungsreporter.
    Das war allerdings nur die Meinung von Hildegard Benke, als sie an diesem Tag die Zeitung aufschlug und einen großen Bericht über ›Die Wunderheilerin vom Münsterland‹ las. Sie rief sofort ihre Freundinnen an, die natürlich den Artikel ebenfalls schon gelesen hatten und in heller Aufregung waren. Wenn auch keine Namen genannt wurden, so stand da doch ganz deutlich: »Die Heilungsuchenden gehören nur der feinen Gesellschaft von Münster an, wo Corinnas Adresse als Geheimtip gehandelt wird. Da aber Gesundheit eine Sache aller ist, nennen wir hier Namen und Ort der ›Frau mit den strahlenden Händen‹: Corinna Doerinck in Hellenbrand.«
    »So ein hinterhältiger Lump!« schrie Hildegard Benke ins Telefon. »So ein infames Schwein! Er ist ein Freund meines Sohnes, sie kennen sich von der Penne her, er geht seit Jahren bei uns ein und aus – und dann so etwas! Mißbraucht mein Vertrauen. Natürlich habe ich meinen Kindern von Corinna erzählt. Ich bitte euch, innerhalb der Familie … da muß man doch Vertrauen haben. Und dieser Scheißkerl von Reporter gehörte ja fast zur Familie. Ich habe mit Dr. Werncke, unserem Anwalt, gesprochen. Es gibt keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Der Reporter habe nur über Tatsachen von öffentlichem Interesse berichtet. So eine Hyäne!«
    Die Aufregung war groß. Jeder verstand, daß Hildegard ihrer Familie so begeistert von Corinna erzählt hatte, denn nach dreimaliger Behandlung hatte das Zucken um den Mund nachgelassen. Nur bei ganz großen seelischen Aufwallungen kam es gelegentlich wieder – etwa, wenn die beste Freundin Emilia von ihrem Mann zum Geburtstag ein Saphirkollier geschenkt bekam. Aber Corinna hatte versprochen, nach nochmals drei Behandlungen sei das Zucken für immer verschwunden. Nicht anders war es mit dem Ischias bei Luise Herbrandt, mit der Neuralgie bei Frau Westermeier, mit der Arthritis bei Frau Semmler, mit den Herzrhythmusstörungen bei Frau Dr. Vonweg. Sie alle spürten eine Besserung und waren von Corinna hingerissen.
    Und nun das! In der Zeitung! Eine Wunderheilerin! Ein durchweg gehässiger, ironischer Artikel über Leute, die auch noch im zwanzigsten Jahrhundert an Wunderkräfte glauben.
    »Dieser Kerl betritt mein Haus nicht mehr!« rief Hildegard Benke in das Telefon. »Soll ich Corinna anrufen? Damit sie nicht überrascht wird, wenn sich jetzt die Geier auf sie stürzen …?«
    »Ich würde es tun«, sagte Luise Herbrandt. »So ein Skandal! Du siehst, man kann nicht vorsichtig genug sein. Selbst in der eigenen Familie nicht.«
    Der erste, der mit diesem Zeitungsbericht konfrontiert wurde, war allerdings nicht Corinna, sondern ihr Vater. In der Schulpause kam der Rektor der Schule, Ferdinand Hupp, zu ihm auf den Schulhof und sagte: »Du, ich hab' mit dir zu reden, Stefan. Fräulein Feindt kann für dich die Aufsicht übernehmen.«
    Sie gingen ins Lehrerzimmer, Hupp ohne weitere Worte, und Doerinck fragte sich, was dem Kollegen wohl über die Leber gelaufen sein mochte. Er kannte Ferdinand

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