Die strahlenden Hände
der meinige der wichtigere ist.«
»Das ist eine absolut persönliche Ansichtssache.«
Es klopfte, Beiler knurrte ein »Ja, bitte!«, und Corinna trat ins Zimmer. Sie sah in ihrem leichten Sommerkleid mit dem tiefen Ausschnitt bezaubernd aus. Der Blick ihrer etwas mandelförmigen Augen war auf Kampf eingestellt. Beiler seufzte innerlich. Eine herrliche exotische Blume; auch das wird man ihr jetzt in Hellenbrand übelnehmen. Das Russenweib, wird man sagen. Auch wenn sie Deutsche ist. Russenweib … er kannte die Hellenbrander gut genug. Was gelten im Münsterland sechsundzwanzig Jahre Bürgerschaft? Wenig. Noch weniger auf dem flachen Land. Da muß eine Familie schon mindestens ein Jahrhundert Westfalen auf dem Buckel haben, um dazuzugehören, um heimisch zu sein. Sonst wird man nie ein Pohlbürger, bleibt immer ein Zugereister. Da kann man selbst Lehrer und Konrektor sein, Dirigent des Kirchenchores und Schützenkönig! Das sind alles Äußerlichkeiten; im Münsterland gilt als erstes die Wurzel in der Scholle. Russenweib … meine liebe Corinna, du ahnst noch gar nicht, was alles auf dich zukommt.
»Hier bin ich«, sagte sie und nickte ihrem Vater zu. »Daß man dich herbestellt hat, ist allerdings eine Frechheit.«
»Corinna!« Peter Beiler holte tief Atem. »Fangen wir nicht gleich mit den Ohrfeigen an. Du weißt, was seit heute morgen los ist?«
»Von Ihnen. Ich habe noch keine Zeitung gelesen. Aber ich habe mir eine auf dem Weg zum Rathaus gekauft. Es muß ein merkwürdiger Artikel sein. Fritz Broichner, bei dem ich die Zeitung kaufte, grinste mich an und fragte: ›Wie ist das nun? Kannste auch reinstreicheln, daß ich drei Nummern hintereinander schaffe?‹«
»Da haben wir's! Es geht schon los!« stöhnte Beiler.
»Ich schaue nachher bei Broicher vorbei und sage ihm meine Meinung«, knirschte Doerinck. »So ein Saukerl!«
»Nichts wirst du! Das ist erst der Anfang. In einer Woche wirst du voll beschäftigt sein, herumzuziehen und jedem in die Fresse zu hauen!« Beiler trat ans Fenster und knackte nervös mit den Fingern. »Wir müssen handeln, bevor die Lawine heranrollt. Noch ist das begrenzt, eine einzige Zeitung bringt den Artikel. Aber das Fernsehen will auch schon kommen; dann ist der Ofen ganz aus. Wir müssen was tun!«
»Was?« fragte Corinna kurz. Ihr Gesicht zeigte keine Regung. Nur die goldenen Punkte in ihren schwarzen Augen tanzten. Beiler schaute weg. Die Blicke irritierten ihn.
»Zunächst verschwinden«, sagte er laut.
»Warum?«
»Da fragt sie noch!« schrie Beiler auf.
»Genau wie ich! Warum soll sie verschwinden? Hat sie Lepra? Will sie einen umbringen?«
»Da kommen wir der Sache schon näher.«
»Peter, in unserer Freundschaft höre ich ein Knacken. Da bricht was auseinander!«
»Mein Gott, versteht mich doch!« Beiler warf die Arme dramatisch in die Luft. »Das hat doch mit uns persönlich gar nichts zu tun. Es geht um den Rummel, in den Hellenbrand versinken wird. Den müssen wir abbremsen. Das beste wäre es in jedem Fall, wenn Corinna so lange auf Reisen ginge, bis keiner mehr davon spricht.«
»Genau das geht nicht«, sagte Corinna ruhig.
»Jetzt frage ich: Warum?«
»Ich kann die Behandlung meiner Kranken nicht aussetzen.«
»Die Behandlung!« schrie Beiler wieder auf. »Behandlung!!«
»Ja! Ich heile sie.«
»Ich werd' verrückt!«
»Das ist nicht heilbar, auch nicht von mir«, sagte Corinna kühl. »Ich bleibe. Ich habe nichts getan, vor dem man flüchten sollte. Ich habe nur geholfen. Ist das ein Verbrechen?«
»Ich will jetzt nicht mit euch darüber streiten, ob deine Hände heilen können oder ob alles bloß ein Humbug ist. Mir geht es allein um die Ruhe in der Stadt und der Bevölkerung. Ich muß dem Fernsehen sagen können: Corinna Doerinck ist auf unbestimmte Zeit ins Ausland gefahren. Und damit müßt ihr einiggehen, du, Stefan, und deine Frau. Und Corinna muß wirklich weg, denn Reporter sind wie Spürhunde und finden sie, wenn sie sich hier nur versteckt. Das ist das ganze Problem. Himmel noch mal, ist das denn so schwer zu lösen? Bei ein bißchen gutem Willen …«
»Was ist wichtiger, Herr Beiler: die Ruhe der Bürger oder die Heilung von Kranken? Und wenn es auch nur die Heilung eines Kranken ist? Was wiegt mehr?«
»Corinna!« Beiler rang die Hände und blickte aus dem Fenster. Der Marktplatz lag in der vollen Sonne. Die Linden, die ihn umgrenzten, glänzten wie mit Gold überhaucht. Es gab sieben Marktstände, die jeden Tag ihre Waren
Weitere Kostenlose Bücher