Die strahlenden Hände
tun würde. Sie bezogen drei Zimmer im ›Westfalenwappen‹, und der Wirt, Jakob Sippenhorst, war stolz, dem Fernsehen erzählen zu können, daß Stefan Doerinck ein großer Skatspieler und ein vorzüglicher Kegler war. Corinna kam selten in die Wirtschaft. Was sie für'n Mädchen sei? Na, bildhübsch, wie die Mutter, eben fremdländisch … nee, von Wunderkräften habe man nie was gemerkt. Daß sie neben Teppichknüpfen auch Kranke in der Werkstatt heilt – keine Ahnung! Hat man erst aus der Zeitung erfahren. Aber wenn das stimmt, 'n dolles Ding war' das! Die Corinna mit Wunderhänden – na, so was! Da werden die Doktors in der Umgebung und in Münster aber munter werden. Was sagt denn der Dr. Hambach dazu?
Nun war auch Dr. Hambach dran. Er hatte geradezu darauf gewartet. Einmal mußte sein Name fallen. Das Fernsehteam zog zu Dr. Hambachs kleinem Haus inmitten des blühenden Gartens.
Anders als die Familie Doerinck empfing Dr. Hambach das Team sofort und führte es in sein Wohnzimmer. Er bot Bier an, Zigaretten, Doppelkorn und Kognak und winkte mit beiden Händen ab, als der Kameramann die Handkamera auf die Schulter wuchtete und ein Beleuchter nach einer Steckdose für die Filmleuchte suchte.
»Keine Aufnahmen«, sagte Dr. Hambach.
»Aber warum lassen Sie uns dann kommen?« fragte der Fernsehreporter etwas verwirrt und ungehalten. Das hat man gern: Erst Tür auf, dann Tritt in den Arsch. Nicht mit uns, Opa Doktor! »Wir haben gehört, Sie sind der Hausarzt von Familie Doerinck?«
»Stimmt!«
»Sie kennen die Doerincks schon lange?«
»Über ein Vierteljahrhundert.«
»Phantastisch! Herr Doktor, das gibt doch einen tollen Film!«
»Ich will keinen tollen Film machen, sondern der Wahrheit zum Sieg verhelfen.«
»Genau das wollen wir ja auch. Die Wahrheit über Corinna.« Das Fernsehteam witterte freiere Luft. Alte Leute soll man nicht überfallen, sondern sie einfach reden lassen. Dabei kommt mehr heraus als bei hemmenden Fragen. Ein angebohrter Alter bringt mehr als ein motivierter Junger; das muß man wissen. Also leg los, Opa! Wie ist das mit dem Wundermädchen Corinna?
Dr. Hambach trank genüßlich einen Kognak, steckte sich eine Zigarre an und empfand eine diebische Freude, daß die so forsch auftretenden jungen Männer vom Fernsehen, vor denen sonst die Türen aufsprangen (wenn sie diese nicht selbst eintraten), so geduldig-ungeduldig auf seine Worte warten mußten. Aber dann sagte er etwas, was den TV-Männern überhaupt nicht gefiel:
»Es geht nicht um Corinna Doerinck. Es geht um die verleugneten Möglichkeiten jenseits der schulmedizinischen Grenzen.«
»Entschuldigung!« Der Reporter sah Dr. Hambach noch irritierter an. »Wir sind nicht von der Abteilung Kultur oder Wissenschaft, sondern von der Aktuellen! Uns interessiert, was Sie zu sagen haben in bezug auf Corinna. Sie kennen sie von Kindesbeinen an, Sie haben sicherlich eine Menge zu erzählen.«
»Das habe ich wirklich.«
»Also fangen wir an.«
»Bitte.« Dr. Hambach nahm wieder einen genußvollen Kognakschluck. »Beginnen wir mit dem Wichtigsten: Kennen Sie die ärztliche Schweigepflicht?«
»Natürlich.«
»Wie gut. Dann ist unser Gespräch bereits am Ende.«
»Das können Sie doch nicht machen!« Der TV-Reporter beherrschte sich nur mühsam, seine Augen verrieten seine tiefe Wut. »Sie haben uns hier hereingelassen und …«
»… und was?«
»Sie wollten …«
»Ich wollte Ihnen aufzeigen, wo die Grenzen der Medizin …«
»Danke!« Der Reporter erhob sich und winkte den anderen Männern zu. »Gehen wir, Jungs! Doktor, es war nicht gut, daß Sie uns verschaukelt haben!«
»Nun wird sicherlich ein zynischer Bericht über mich und Hellenbrand kommen, nehme ich an.« Dr. Hambach erhob sich auch. »So ein Bericht, wie er typisch geworden ist für die öffentlich-rechtlichen Anstalten, finanziert von unserem Geld. Ein schön fotografiertes Panoramabild, und darunter die Sprecherstimme: ›Das ist Hellenbrand, ein friedliches Städtchen im Münsterland, seit heute aber die neue Hexenstadt Deutschlands.‹ – Und keiner hat die Möglichkeit, euch Idioten diese Filme um die Ohren zu schlagen!«
Ziemlich schnell verließ das TV-Team das Haus Dr. Hambachs und stieg in den Wagen. Erst als sie die Türen zugeschlagen hatten, sagte der Reporter giftig, aber dennoch zufrieden:
»Der typische alte Reaktionär. Gut, daß wir das wissen. Den alten Scheißer stellen wir mal besonders raus. Der wird sich wundern, was wir alles
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