Die strahlenden Hände
meine Kranken empfangen. Alles andere bleibt draußen. Ich werde kein Interview geben, keine Fotos zulassen, nichts!«
»Die kennen genügend raffinierteste Tricks, um zu bekommen, was sie haben wollen. Als Kranke werden sie sich einschleichen.«
»Ich fühle es und weiß es sofort, ob einer krank ist oder nicht.«
Beiler schüttelte den Kopf.
»Das eine sag ich euch und verspreche ich euch: Was ich als Bürgermeister von Hellenbrand gegen den Rummel tun kann, das werde ich tun – auch wenn unsere jahrzehntelange Freundschaft dabei vor die Hunde geht, Stefan! Corinna kann nicht anders, ich kann auch nicht anders.«
»Wir haben verstanden, Peter.« Doerinck erhob sich von seinem Stuhl, faßte seine Tochter um die Taille und zog sie an sich. »Es nimmt dir auch keiner übel. Von uns keiner, nur mit deinen Bürgern, die ein Geschäft wittern, wirst du dich herumschlagen müssen, genauso wie wir! Denn auch Corinna wird das hassen, was man aus ihr machen will oder was man schon aus ihr gemacht hat. – Können wir gehen?«
»Ja.«
»Mach's gut, Peter.«
»Viel Kraft, Stefan!«
Dann standen sie wieder auf der Straße, in der warmen Spätsommersonne und lehnten sich an Corinnas Auto.
»Soll ich dich nach Hause bringen, Papuschka?« fragte sie.
»Nein, das kurze Stück bis zur Schule laufe ich.«
»Du willst noch in die Schule?«
»Aber ja! Ich habe bis ein Uhr Unterricht.«
»Was sagt Onkel Ferdinand?«
»Der Herr Rektor rotiert um die eigene Achse.« Doerinck gab seiner Tochter einen Kuß auf die Wange und lächelte breit, obgleich ihm gar nicht danach zumute war. »Ich bin gespannt, wie der Schulrat reagiert.«
»Soll ich dir's voraussagen?« Sie schloß die Wagentür auf. »Was wirst du antworten Papuschka?«
»Das, was nötig ist!« Er stieß sich von dem Auto ab und wartete, bis Corinna abgefahren war. »Ich werde sagen: Haben Sie, Herr Schulrat, eine krebskranke Frau, die geheilt worden ist?«
Er rief es leise der Staubwolke hinterher, die nach Corinnas schnellem Start zerfetzt über dem heißen Platz hing.
*
Den ganzen Tag über klingelten, schellten, summten die Telefone: bei Lehrer Doerinck, bei Corinna, in der Stadtverwaltung, bei Rektor Hupp, bei den Nachbarn von Doerinck – die Meute war zur Hatz aufgebrochen. Es war erstaunlich und beängstigend zugleich, welche Wirkung solch ein kleiner Artikel in der Tageszeitung auslöste. Daß jemand mit seinen Händen heilen kann, war ein Wunder … und Wunder in unserer so realen Zeit mußten gepflegt werden.
Von Doerinck erfuhren alle Anrufer nur: »Hier Doerinck. Sie hätten sich das Geld für den Anruf sparen können!« Dann wurde aufgelegt. Corinna legte den Hörer neben den Apparat, so war die Leitung dauernd besetzt. Im Rathaus hatte Beiler extra eine Sekretärin abgestellt, die nur mechanisch sagte: »Uns ist nichts bekannt.« Das glaubte zwar niemand, aber es gab dennoch eine schöne Story ab: Stadtverwaltung mauert sich zu. Für einen Reporter gibt es nichts Beglückenderes, als gegen Beamte loszuziehen. Da kann man Zynismus mit Kübeln ausschütten.
Um so ergiebiger waren die angerufenen Nachbarn. Liebe Mitbürger, die Haus an Haus mit einem wohnen, sind immer bestens informiert. Sie hören und sehen vieles, das man selbst nie wahrnimmt. Vor allem sind die Deutungen äußerst interessant. Ein guter Reporter wird deshalb jedesmal zuallererst die Umgebung befragen und mehr Dinge erfahren, als seine kühnste Phantasie es sich träumen läßt. Versieht er die Schlagzeilen dann auch noch mit einem Fragezeichen, ist sein Blatt sogar juristisch geschützt. Man behauptet ja nicht, man fragt ja nur …
»Können Corinnas Hände auch Politiker beeinflussen?«
Das war eine Frage, auf die sich natürlich das Fernsehen mit größter Vehemenz stürzen wollte. Aber bis zum Abend war es unmöglich, Corinna zu erreichen. Der Vater, Lehrer Doerinck, gab keine Auskunft, die Nachbarn erzählten tausend Dinge aus dem Leben der Doerincks – nur leider nichts, was irgendwie brisant war. Mit einer Ausnahme: daß Frau Doerinck, Corinnas Mutter, eine Russin war. Sie kam aus Grusinien, aus dem Kaukasus. Einer Gegend also, in der es auch heute noch Zauberärzte gab. Aus dem Land der Hundertjährigen! Wo Männer mit 110 Jahren noch auf einem Pferderücken galoppieren und Herden jagen. Aha! Wenn das kein Aufhänger ist!
Das Fernsehen entschloß sich, zunächst nur ein kleines Team nach Hellenbrand zu schicken und dort abzuwarten, was sich in den nächsten Tagen
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