Die strahlenden Hände
schon viel witzigen Spott eingebracht – teilte lapidar mit, daß man die Zufahrt zu Corinnas Scheune amtlich gesperrt habe.
»Auf der Zufahrt stehen bis jetzt vierunddreißig Wagen«, sagte er. »Wir erwarten noch mehr. Wir werden nach Plan III vorgehen und alle noch eintreffenden Fahrzeuge umleiten zum Maifestplatz. Ist Corinna da?«
»Ja«, antwortete Doerinck knapp. »Warum?«
»Was sollen wir mit den Fahrzeugen tun?«
»Wegschicken!«
»Das geht nicht. Das sind Privatbesuche, keine Demonstrationen. Wegschicken kann sie nur Corinna. Schlicht gesagt: das ist alles eine Sauerei!«
Oberkommissar Blinker schnaufte und blickte auf einen Zettel, der ihm gerade gereicht wurde. »Hören Sie, Herr Doerinck? Gerade kommt mir eine Meldung auf den Tisch. Von Seppenhagen. Aus Richtung Autobahn wälzt sich eine Kolonne auf Hellenbrand zu. Alles Heilungsuchende. Stichkontrollen haben das ergeben. Immer die gleiche Auskunft: Wir wollen zu der Wunderheilerin. – Na, dann man los, das ist ein dicker Otto!«
»Die Lawine rollt«, sagte Doerinck, als Blinker das Telefonat beendete. »Ich hätte wirklich nicht geglaubt, daß man so schnell auf diese Fernsehsendung reagiert. Jetzt müssen wir ganz ruhig und überlegen bleiben.«
*
Auf Umwegen, durch die Felder und über schmale Bauernwege, fuhren Corinna, van Meersei, Stefan Doerinck und Dr. Hambach zur Scheune. Die normale Straße war verstopft, auf dem Parkplatz vor dem Haus stauten sich die Autos. Zwei Polizisten standen ziemlich hilflos herum und antworteten auf die vielen Fragen nur lakonisch: »Keine Ahnung, wann Fräulein Doerinck kommt. Ob sie überhaupt kommt …«
Ein Krankenwagen kämpfte sich mit Blaulicht und Sirene an der Kolonne vorbei nach vorn. Er kam aus Münster und war von einem reichen Antiquitätenhändler gemietet worden. Auf der Trage lag eine Frau mit gelbem, eingefallenem Gesicht und weiten wie gläsernen Augen. Zwischen den gefalteten Händen drückte sie ein kleines goldenes Kruzifix auf die knöcherne Brust. Ihr Mann saß neben ihr auf dem Klappstuhl und strich ihr während der Fahrt immer wieder über das ergraute, in der Mitte gescheitelte Haar.
Hellenbrand war ihre letzte Hoffnung. Nur ein Wunder konnte noch helfen. Und an dieses Wunder, das gestern abend im Fernsehen gezeigt wurde, klammerte sie sich nun mit einer kindlichen Gläubigkeit.
Seit drei Monaten waren sie und ihr Mann unterwegs; zuerst in Fatima, dann in Lourdes. Sie hatten inbrünstig gebetet, das heilige Wasser empfangen, die Madonna um Gnade angefleht und auf ein Wunder gewartet. Es blieb versagt, nur die Schwäche nahm weiter zu, und der Körper verfiel immer mehr. »Sie müssen sich damit abfinden«, hatten die Ärzte zu ihnen gesagt. »Krebs in diesem Stadium … wir alle müssen irgendwann von dieser Welt, das ist nun mal so.« Nun waren sie in Hellenbrand, und die gelbgesichtige Frau auf ihrer Trage betete leise vor sich hin. »Maria, Mutter Gottes, verlaß mich nicht … verlaß mich nicht …«
Über einen Schleichweg erreichten Corinna und die anderen die Scheune und schlüpften durch einen ehemaligen Stallgang ins Innere. Van Meersei schwitzte ziemlich – weniger der erträglichen Herbsthitze wegen als vielmehr vor Aufregung.
»Das ist doch eine Demonstration!« sagte er schweratmend. »Eine Demonstration für Sie, Corinna! In ein paar Tagen spricht die ganze Welt über Sie.«
»Dieser Aufmarsch beweist nur wieder, daß die Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts noch eine Ecke übriggelassen hat, wo der Urglaube an das Wunder weiterlebt.« Dr. Hambach blickte durch die zugezogenen Gardinen nach draußen auf den überfüllten Parkplatz. »Von überall her sind sie gekommen, aus Hamburg, Hannover, Köln und sogar Stuttgart. Die müssen in der Nacht noch abgesaust sein. Und drei Holländer sind dabei. Das ist Ihre Marke, Professor Meersei!«
Doerinck setzte sich schwer auf einen Stuhl und stützte die Arme auf den Knien auf.
»Willst du die alle empfangen, Cora?« fragte er.
»Ich werde zu ihnen sprechen.«
»Damit dürften sie sich wohl kaum zufriedengeben.« Dr. Hambach streckte den Kopf vor und drückte die Augen gegen die Gardine. »Jetzt laden sie einen Krankenwagen aus. Eine Frau. Ein Mann – ich nehme an, ihr Ehemann – ist auch dabei und streichelt ihre Stirn. Wollen wir sie draußen stehenlassen?«
»Sie … sie kommen mit Krankenwagen?« Corinna trat neben Dr. Hambach und blickte auf die Trage, die von weiß gekleideten Sanitätern
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