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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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herangeschleppt wurde. »Das ist doch Wahnsinn, Onkel Ewald! Wir sind hier doch nicht in Lourdes …«
    »Für sie doch! Du bist ihre letzte, verzweifelte Hoffnung.«
    »Aber ich kann keine Wunder produzieren!« Corinna schlug die Hände vor das Gesicht. »Geht hinaus und sagt es ihnen. Bitte, geht hinaus!«
    »Wie hieß es doch gestern im Kommentar der Fernsehsendung? ›Können wir jetzt die Bibel vergessen?‹ – Die da draußen sind bereit, es zu tun.« Meersei lief aufgeregt im Ausstellungsraum hin und her. »Lassen wir doch wenigstens die Kranke auf der Trage herein!«
    »Und dann?« fragte Doerinck laut. »Wer geht dann raus und ruft: Die anderen können alle wieder nach Hause fahren? – Wer will unbedingt gesteinigt werden? Das ist die bisher älteste bekannte Tötungsart der Menschen.«
    »Ich kann sie alle gar nicht behandeln.« Corinna trat vom Fenster zurück. »Ich kann es nicht. Dazu reicht meine Kraft nicht aus.«
    »Wir könnten Nummern ausgeben«, sagte Dr. Hambach sarkastisch. »Und dann in der Zeitung veröffentlichen: Die Nummern 310 bis 340 am Freitag, dem 23. nächsten Monats. Akute Fälle nur nach vorheriger telefonischer Absprache …«
    »Wir haben jetzt keine Zeit, um dumme Sprüche zu klopfen!« Doerinck sprang von seinem Stuhl hoch. An der Haustür wurde heftig geklopft. Die Sanitäter mit der Todkranken. »Wir müssen uns entscheiden: Sind wir da – oder spielen wir tote Fliege?«
    »Man sollte es nicht glauben: Probst kommt!« rief Dr. Hambach, fast mit einem Jubelschrei. Doerinck fuhr herum.
    »Wer kommt?«
    »Max Probst, der Bäcker. Mit einem Wagen voller Brötchen, Gebäck und Kuchen. Und mit Kästen Cola und Limonade. Max hat die Lage sofort erkannt: Wer wartet, der hat Hunger und Durst. Und keiner soll hungern und dürsten! Jetzt fehlt noch der Metzger mit Brühwurst, Currywurst, Bratwurst und Frikadellen. Ergreifend, wie schnell das alles geht. Das ist Organisation. Das ist deutsche Gründlichkeit!«
    »Draußen liegt eine schwerkranke Frau.« Van Meersei zeigte auf die Tür, gegen die es in Abständen immer wieder hämmerte. »Corinna, Sie müssen etwas tun!«
    »Laßt sie rein«, sagte sie schwach. »Aber nur sie … und den Mann.« Sie stellte sich vor die aufgehängten Teppiche an der Wand und blickte zur Tür. Meersei und Doerinck öffneten sie einen Spalt, sprachen nach draußen, ließen dann die Sanitäter mit der Trage und den Mann herein. Die Sanitäter stellten die Frau mitten ins Zimmer, warfen einen neugierigen Blick auf Corinna und verließen darauf wieder den Raum. Doerinck verriegelte hinter ihnen die Tür.
    Draußen aber flog die frohe Kunde von Wagen zu Wagen, über die Gesichter der Wartenden zog ein frohes Leuchten: Sie ist da! Und wir haben Zeit. Wir können ausharren! Einmal kommen auch wir dran. Und die Hoffnung wuchs und wuchs …
    Bäcker Max Probst begann mit dem Verkauf seiner Backwaren und den Erfrischungen. Es würde ein blendendes Geschäft werden. Man muß eben immer der erste sein, dachte er zufrieden. Bereitsein ist alles. Am besten gingen die cremegefüllten Teilchen weg, die Schweineöhrchen und der Kirschstreuselkuchen.
    »Wir wissen«, sagte drinnen im Haus der Antiquitätenhändler aus Münster mit stockender Stimme, »daß kein Arzt mehr helfen kann. Wir waren in Fatima und in Lourdes. Ich bin mit meiner Frau nach Amerika gefahren und nach Japan. Zu den besten Ärzten … Sie hat Leberkrebs. Überall Metastasen. Sie weiß das alles … aber sie hofft noch. Sie glaubt. Was soll ich tun? Ich mußte einfach zu Ihnen kommen … Ich darf die Möglichkeit eines Wunders nicht auslassen …«
    Er brach ab, begann stumm zu weinen und tastete nach Corinnas Hand.
    Der Hand, die helfen sollte.

9
    Um acht Uhr in der Frühe rief Dr. Roemer in der Chirurgischen Universitätsklinik in Münster an.
    Er wußte, daß Willbreit um diese Zeit bestimmt im Hause war; um halb acht hielt er mit seinen Oberärzten und Stationsärzten immer die Morgenbesprechung ab und ließ sich über die Vorkommnisse in den einzelnen Stationen berichten. Diese Morgenbesprechungen hatte Willbreit sehr zum Ärger der anderen Ärzte eingeführt, denn es bedeutete ja, daß alle um diese frühe Zeit in der Klinik sein und sich – wegen des Vortrages – bereits bei den Nachtschwestern und der Morgenschicht informiert haben mußten.
    Der Chef der Klinik, Professor Dr. Hellbrecht, mit internationalen Auszeichnungen überhäuft, ließ seinem Ersten Ober darin freie Hand. Er kam oft nur

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